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Im Krebsgang

Im Krebsgang

Titel: Im Krebsgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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nicht mehr nur die Ernennung des Führers zum Reichskanzler Reizthema, vielmehr und in einem Abwasch Wilhelm Gustloffs Geburtstag: es wurde um die, wie Konny wußte, »von der Vorsehung bestimmte Tatsache« gestritten, nach der der Blutzeuge vorausahnend am Tag der künftigen Machtergreifung das Licht der Welt erblickt haben soll.
    Diese Klitterung wurde allen Chattern als schicksalhafte Fügung serviert. Worauf der tatsächliche oder nur ausgedachte David den in Davos zur Strecke gebrachten Goliath verhöhnte: »Dann ist es auch Vorsehung gewesen, daß das nach deinem mickrigen Parteifunktionär getaufte Schiff an dessen Geburtstag und anläßlich der Zwölfjahresfeier des Hitlerputsches mit Mann und Maus abzusaufen begann, und zwar auf Gustloffs Geburtsminute genau, Punkt einundzwanzig Uhr sechzehn hat's dreimal gekracht...«
    So verlief ihr Rollenspiel: wie eingeübt. Und doch zweifelte ich mehr und mehr an meiner Annahme, es klicke sich Mal um Mal ein erfundener David ein, es quaßle ein Homunkulus gestanzte Sätze, etwa diese: »Euch Deutschen wird Auschwitz als Zeichen der Schuld ewiglich eingebrannt sein...« Oder: »Du bist ein deutliches Beispiel für das nachwachsende Unheil...« Oder Sätze, in denen sich David im Plural versteckte: »Uns Juden bleibt die nie endende Klage.« - »Wir Juden vergessen nie!« Worauf Wilhelm mit Sätzen aus dem Lehrbuch des Rassismus gegenhielt, in denen das »Weltjudentum« überall, doch besonders mächtig in New Yorks Wall Street seßhaft war.
    Unerbittlich ging es zu. Doch gelegentlich fielen sie aus der Rolle, etwa, wenn mein Sohn als Wilhelm die Schlagkraft der israelischen Armee lobte, hingegen David die jüdischen Siedlungen auf palästinensischem Grund und Boden als »aggressive Landnahme« verurteilte. Auch konnte es geschehen, daß sich beide plötzlich bei der Beurteilung von Tischtennismeisterschaften sachkundig einig waren. So verriet ihr individueller, mal scharfer, dann wieder kumpelhafter Ton, daß sich im virtuellen Raum zwei junge Leute gefunden hatten, die, bei allem feindseligen Getue, hätten Freunde werden können.
    Zum Beispiel, wenn sich David so einleitete: »Hallo, du borstiges Nazischwein! Hier flüstert dir deine schlachtreife Judensau ein paar Tips, wie man den Tag der Machtergreifung heute noch feiern könnte, nämlich mit kaltem Kaffee...« Oder wenn sich Wilhelm bemühte, witzig zu sein: »Für heute ist genug Judenblut geflossen. Dein Leibundmagenkoch, der dir gerne eine koschere braune Soße aufwärmt, macht jetzt Winkewinke und loggt sich aus.«
    Sonst fiel den beiden zum Dreißigsten nur Altbekanntes ein. Eine Neuigkeit jedoch gab Konny seinem Feindfreund David zu verstehen: »Du solltest wissen, daß auf allen Decks des todgeweihten Schiffes unseres geliebten Führers letzte Rede zu hören gewesen ist.«
    So war es. Überall auf der Gustloff, wo immer Lautsprecher hingen, wurde Hitlers Rede an sein Volk vom Großdeutschen Rundfunk übertragen. Und auch in der Station für Schwangere und Wöchnerinnen hat Mutter, die sich auf Anraten der Stationsschwester auf ein Feldbett gelegt hatte, die unverwechselbare Stimme gehört: »Heute vor zwölf Jahren, am 30. Januar 1933, einem wahrhaft historischen Tag, hat mir die Vorsehung das Schicksal des deutschen Volkes in die Hand gelegt...«
    Danach gab Ostpreußens Gauleiter Koch ein Dutzend Durchhalteparolen von sich.
    Denen folgte tragische Musik. Aber Mutter hat nur von des Führers Rede erzählt: »Richtich jegrault hab ech miä, als der Fiehrer vom Schicksal ond ähnliche Sachen jeredet hat...«
Und manchmal sagte sie nach kurzem Verstummen: »Das hat sich wiene Rede auffem Friedhof anjehört.«
Ich habe vorgegriffen. Die Rundfunkübertragung lieferst später. Noch hielt das Schiff in der halbwegs ruhigen Danziger Bucht Kurs auf die Spitze der Halbinsel Hela.
    Der Dreißigste fiel auf einen Dienstag. Trotz jahrelanger Liegezeit liefen die Motoren gleichmäßig. Rauhe See, Schneeschauer. Gegen Essenskarten wurde auf allen Innendecks Suppe und Brot ausgeteilt. Die beiden Torpedofangboote, die das Schiff bis Hela sichernd begleiten sollten, kamen bald nicht mehr gegen den zunehmend schweren Wellengang an, mußten per Funkspruch entlassen werden. Und gleichfalls über Funk kam als Nachricht die Angabe des Zielhafens: in Kiel sollten die zukünftigen U-Bootfahrer der 2. Lehrdivision, die Verwundeten und die Marinehelferinnen von Bord gehen oder getragen werden; für das Ausschiffen der Flüchtlinge

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