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Im Krebsgang

Im Krebsgang

Titel: Im Krebsgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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kümmern kann. Ich berichte nur: An jenem Tag, den die Vorsehung oder sonst ein Kalendermacher dem Schiff als letzten vorgeschrieben hatte, war der Untergang des Großdeutschen Reiches schon eingeläutet: Divisionen der Briten und Amerikaner standen im Raum Aachen. Unsere restlichen U-Boote meldeten zwar die Versenkung von drei Frachtern in der Irischen See, aber an der Rheinfront nahm der Druck auf Colmar zu. Auf dem Balkan steigerte sich im Raum Sarajewo die Partisanentätigkeit. Vom dänischen Jütland wurde zwecks Stärkung östlicher Frontabschnitte die 2. Gebirgsjägerdivision abgezogen. In Budapest, wo sich die Versorgungslage täglich verschlechterte, lag die Front unmittelbar vor der Burg. Überall blieben beiderseits Tote zurück, wurden Erkennungsmarken gesammelt und Orden verteilt.
    Was geschah noch, außer daß angekündigte Wunderwaffen ausblieben? In Schlesien konnten vor Glogau Angriffe zurückgewiesen werden, um Posen hingegen verschärfte sich die Lage. Und bei Kulm setzten sowjetische Einheiten über die Weichsel. Der Feind drang in Ostpreußen bis Bartenstein und Bischofswerder vor. Von Pillau aus war es gelungen, bis zu diesem Tag, der an sich kein besonderer war, fünfundsechzigtausend zivile und militärische Personen einzuschiffen. Überall wurden denkmalreife Heldentaten vollbracht; weitere kündigten sich an. Während die Wilhelm Gustloff sich auf ihrem Kurs gen Westen der Stolpebank näherte und das Unterseeboot S 13 hungrig nach Beute blieb, kamen bei einem nächtlichen Angriff tausendeinhundert viermotorige Feindbomber im Raum Hamm, Bielefeld, Kassel zum Einsatz und hatte der amerikanische Präsident bereits die USA verlassen; Roosevelt war auf dem Weg zum Konferenzort Jalta auf der Halbinsel Krim, wo sich der kranke Mann mit Churchill und Stalin treffen wollte, um durch das Ziehen neuer Grenzen den Frieden vorzubereiten.
    Über diese Konferenz und die spätere in Potsdam, als Roosevelt tot und Truman Präsident war, fand ich Haßseiten im Internet und einen eher beiläufigen Kommentar auf der Website meines allwissenden Sohnes: »So hat man unser Deutschland zerstückelt«, samt Karte des Großdeutschen Reiches mit markierten Gebietsverlusten. Folglich spekulierte er, was an Wundern hätte geschehen können, wenn die jungen, nahezu fertig ausgebildeten Matrosen an Bord der Gustloff glücklich den Zielhafen Kiel erreicht und als Besatzung von zwölf oder mehr U-Booten der neuen, fabelhaft schnellen, dazu annähernd geräuschlosen XXIII-Klasse zum erfolgreichen Einsatz gekommen wären. Lauter Heldentaten und Sondermeldungen standen auf seinem Wunschzettel. Nicht gerade, daß Konny nachträglich den Endsieg beschworen hätte, doch war er sich sicher, daß den jungen U-Bootmännern, im Fall der Vernichtung selbst dieser Wunderboote durch Wasserbomben, ein besserer Tod beschieden gewesen wäre als das erbärmliche Ersaufen auf Höhe der Stolpebank. Sogar sein Gegenspieler David stimmte dem wertenden Vergleich von Todesarten zu, brachte dann aber doch Bedenken ins Netz: »Wählen konnten die Jungs jedenfalls nicht. So oder so hätten sie keine Chance gehabt, auf stinknormale Weise erwachsen zu werden...«
    Fotos liegen vor, die der überlebende Zahlmeisterassistent des Schiffes während Jahrzehnten gesammelt hat: viele paßbildkleine und eine Großaufnahme, die alle Matrosen eines in der Regel viermonatigen Lehrgangs bei der 2. Unterseeboot-Lehrdivision in Reih und Glied versammelt auf dem Sonnendeck zeigt, angetreten, um nach dem Kommando »Rührt euch!« zur Begrüßung vor Korvettenkapitän Zahn in gelockerter Haltung zu stehen.
    Auf dieser Abbildung im Breitformat, der über neunhundert, zum Heck hin immer kleiner wirkende Matrosenmützen abgezählt werden können, sind die Gesichter allenfalls bis ins siebte Glied als ausgeprägt einzelne zu erkennen. Dahinter geordnete Masse. Doch auf den paßbildkleinen Fotos sehen mich Mal um Mal uniformierte Männer an, deren jungenhafte Gesichtszüge zwar unterschiedlich sind, doch insgesamt unfertig erscheinen. Achtzehnjährig mögen sie sein. Einige Jungs, die während der letzten Kriegsmonate in Uniform fotografiert wurden, sind noch jünger. Mein Sohn, mittlerweile siebzehn, könnte einer von ihnen sein, wenngleich Konny als Brillenträger kaum u-boottauglich gewesen wäre.
    Alle tragen ihre, wie man zugeben kann, kleidsamen Matrosenmützen mit der umlaufenden Bandaufschrift »Kriegsmarine« schräg, zumeist mit leichter Rechtsneigung. Ich sehe

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