Im Krebsgang
Treffer und das bald erkennbare Sinken des Zielobjektes mit unterdrücktem Jubel wahrgenommen. Kapitän Marinesko befahl, mit dem bereits vorgefluteten Boot auf Tiefe zu gehen, wissend, daß in Küstennähe, zumal über der Stolpebank, nur wenig Schutz vor Wasserbomben zu finden war. Zuvor mußte der in Rohr zwei steckengebliebene Torpedo entschärft werden; zündfertig, mit laufendem Antriebsmotor, wie er festsaß, konnten ihn leiseste Erschütterungen zur Explosion bringen. Zum Glück fielen keine Wasserbomben. Das Torpedoboot Löwe suchte, bei gestoppter Maschine, das tödlich getroffene Schiff mit Scheinwerfern ab.
Auf unserer globalen Spielwiese, dem gepriesenen Ort letztmöglicher Kommunikation, hieß das sowjetische U-Boot S 13 im Wortlaut der mir familiär nahen Website kategorisch: »Das Mordboot«. Und die Besatzung dieser Schiffseinheit der baltischen Rotbannerflotte wurde als »Frauen- und Kindermörder« verurteilt. Im Internet spielte mein Sohn den Richter. Die Einsprüche seines Feindfreundes David, dem nur einfiel, wiederum seine antifaschistische Gebetsmühle in Gang zu setzen, indem er auf ranghohe Nazis und Militärpersonen an Bord sowie die 3-cm-Flakgeschütze auf dem Sonnendeck des Schiffes hinwies, kamen gegen die Flut der nunmehr von allen Kontinenten eingehenden Kommentare nicht an. Chatter meldeten sich überwiegend auf Deutsch, durchmischt mit englischen Brocken. Der übliche Haß, aber auch fromme Beschwörungen der Apokalypse füllten meinen Schirm. Ausrufezeichen hinter der Schreckensbilanz. Dazwischen zum Vergleich die Verlustzahlen anderer Schiffsuntergänge.
Das oft verfilmte Drama der Titanic versuchte die Spitze zu halten. Ihm folgte der Untergang der Lusitania, die im Ersten Weltkrieg von einem deutschen U-Boot versenkt worden war, was den Eintritt der USA in den Krieg ausgelöst oder beschleunigt haben soll.
Auch meldete eine einsame Stimme die Versenkung der mit KZ-Häftlingen beladenen Cap Arcona durch englische Bomber in der Neustädter Bucht; diese sich irrtümlich ereignende Tat geschah wenige Tage vor Kriegsende und führte nunmehr im Internet mit der Zahl von siebentausend Toten die Tabellenspitze an. Dann lag die Goya gleichauf. Doch über allem wetteifernden Zahlengechatte siegte am Ende die Gustloff. Mit dem Eifer der ihm eigenen Gründlichkeit war es meinem Sohn auf seiner Website gelungen, das vergessene Schiff und dessen menschliche Fracht ins diffuse Weltbewußtsein zu rücken, auf daß es als schematische Zeichnung samt zackig markierten Torpedotreffern sichtbar wurde und fortan, als Unglück an sich, einen Namen von globaler Bedeutung trug.
Doch mit dem, was am 30. Januar 1945 ab einundzwanzig Uhr sechzehn tatsächlich auf der Wilhelm Gustloff geschah, hatten die sich im Cyberspace übertrumpfenden Zahlen wenig zu tun. Eher ist es Frank Wisbar in seinem Schwarzweißfilm »Nacht fiel über Gotenhafen« gelungen, trotz überdehnter Voraushandlung einiges von der Panik einzufangen, die auf allen Decks ausbrach, nachdem die drei Treffer das Schiff, bei sogleich überspültem Bug, nach Backbord hin in Schräglage gebracht hatten.
Versäumnisse rächten sich. Warum waren die ohnehin zu wenigen Rettungsboote nicht vorsorglich ausgeschwenkt worden? Warum hatte man die Davits und Taljen nicht regelmäßig enteist? Zudem fehlte das im Vorderschiff abgeschottete, womöglich noch lebende Personal. Die Marinerekruten der Lehrdivision waren im Umgang mit Rettungsbooten ungeübt. Das vereiste Sonnendeck, das zugleich Bootsdeck war, brachte, spiegelglatt, wie es sich neigte, die aus den oberen Decks andrängende Masse ins Rutschen. Schon gingen die ersten, weil haltlos, über Bord. Nicht jeder fiel mit Schwimmweste. Jetzt wagten viele in Panik den Sprung. Der Hitze im Schiffsinneren wegen waren die meisten, die aufs Sonnendeck drängten, zu leicht bekleidet, um bei achtzehn Grad minus Luft- und entsprechend niedriger Wassertemperatur - sind es zwei oder drei Grad plus gewesen? - den Kälteschock zu überleben. Dennoch sprangen sie.
Von der Brücke her kamen nun Befehle, alle Nachdrängenden in das verglaste Untere Promenadendeck zu lenken, dessen Türen zu verschließen und bewaffnet zu bewachen in der Hoffnung auf rettende Schiffe. Diese Maßnahme wurde strikt durchgeführt. Bald hielt die hundertsechsundsechzig Meter lange, Steuer- und Backbord umlaufende Vitrine tausend und mehr Menschen gefangen. Erst ganz zum Schluß, als es zu spät war, sind an einigen Abschnitten der
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