Im Krebsgang
sachlich, würdigte die »verdienstvolle Kleinarbeit« des ehemaligen Zahlmeisterassistenten Heinz Schön und bedauerte die während der Nachkriegsjahre anhaltende Zerstörung des GustloffWracks durch tauchende Schatzsucher: »Aber zum Glück haben diese Barbaren weder das Gold der Reichsbank noch das legendäre Bernsteinzimmer gefunden...«
An dieser Stelle glaubte ich ein zustimmendes Nicken des allzu geduldigen Vorsitzenden Richters wahrzunehmen; doch schon setzte sich die Rede meines Sohnes wie selbsttätig fort. Nun sprach er über den Kommandanten des sowjetischen U-Bootes S 13. Nach langer Haft in Sibirien sei Alexander Marinesko endlich doch rehabilitiert und zum »Helden der Sowjetunion« ernannt worden. »Leider hat er sich an der verspäteten Ehrung nur kurze Zeit lang erfreuen können. Bald danach starb er an Krebs...«
Kein Wort der Anklage. Nichts war, wie vormals ins Internet gestellt, über »russische Untermenschen« zu hören. Vielmehr überraschte mein Sohn die Richter und Jugendschöffen, wohl auch den Staatsanwalt, indem er das Mordopfer Wolfgang Stremplin als David um Verzeihung bat. Allzu lange habe er auf seiner Website die Versenkung der Wilhelm Gustloff ausschließlich als Mord an Frauen und Kindern gewertet. Durch David jedoch sei er zu der Einsicht gebracht worden, daß der Kommandant von S 13 das für ihn
namenlose Schiff zu Recht als militärisches Objekt gewertet habe. »Wenn hier von Schuld zu sprechen ist«, rief er, »dann muß die oberste Marineleitung, muß der Großadmiral angeklagt werden. Er hat zugelassen, daß außer den Flüchtlingen eine Masse Militärpersonal eingeschifft wurde. Der Verbrecher heißt Dönitz!«
Konrad machte eine Pause, als müßte er Unruhe im Gerichtssaal, Zwischenrufe abwarten. Aber vielleicht suchte er nur nach abschließenden Worten. Endlich sagte er: »Ich stehe zu meiner Tat. Doch bitte ich das Hohe Gericht, die von mir vollzogene Hinrichtung als etwas zu bewerten, das nur in größerem Zusammenhang zu begreifen ist. Ich weiß: Wolfgang Stremplin stand kurz vorm Abitur. Leider konnte ich darauf keine Rücksicht nehmen.
Es ging und geht um Größeres. Die Landeshauptstadt Schwerin muß endlich ihren großen Sohn namentlich ehren. Ich rufe dazu auf, am Südufer des Sees, dort, wo ich auf meine Weise des Blutzeugen gedacht habe, ein Mahnmal zu errichten, das uns und kommenden Generationen jenen Wilhelm Gustloff in Erinnerung ruft, der vom Juden gemeuchelt wurde. Wie vor einigen Jahren endlich in Sankt Petersburg der U-Bootkommandant Alexander Marinesko mit einem Denkmal geehrt worden ist, so gilt es, einen Mann zu würdigen, der am 4. Februar 1936 sein Leben gab, auf daß Deutschland endlich vom Judenjoch befreit werden konnte. Ich scheue mich nicht, anzuerkennen, daß es auf jüdischer Seite gleichfalls Gründe gibt, entweder in Israel, wo David Frankfurter einundachtzig gestorben ist, oder in Davos mit einer Skulptur jenen Medizinstudenten zu ehren, der seinem Volk mit vier gezielten Schüssen ein Zeichen gegeben hat. Oder nur eine Bronzetafel, wäre völlig okay.«
Endlich raffte sich der Vorsitzende Richter auf: »Das reicht nun aber!« Danach Stille im Saal. Die Erklärungen meines Sohnes, nein, sein Erguß ist nicht ohne Wirkung gewesen; das Urteil hat sein Vortrag jedoch weder mildern noch verschärfen können, denn das Gericht wird den in Konnys Redefluß mitschwimmenden und in sich schlüssigen Irrsinn erkannt haben; Wahnvorstellungen, die durch Gutachten mehr oder weniger überzeugend analysiert worden sind.
An sich halte ich nicht viel von diesem sich wissenschaftlich gebenden Geschreibsel. Kann aber sein, daß der eine Gutachter, der sich als Psychologe aufs desolate Familienleben spezialisiert hatte, nicht ganz danebenlag, als er Konnys, wie es bei ihm hieß, »einsame Tat eines Verzweifelten« auf des Angeklagten Jugend ohne Vater zurückführte und dabei ursächlich mein vaterloses Herkommen und Aufwachsen an den Haaren herbeizog.
Die zwei anderen Gutachten waren auf ähnlich ausgetretenen Pfaden unterwegs. Lauter Schnitzeljagden im familiären Gehege. Am Ende war immer der Vater schuld. Dabei ist es Gabi gewesen, die als Alleinerziehungsberechtigte ihren Sohn nicht abgehalten hat, von Mölln weg nach Schwerin zu ziehen, worauf er endgültig in Mutters Fänge geraten ist.
Sie, allein sie ist schuldig. Die Hexe mit Fuchspelz um den Hals. Seit je ein Irrlicht, wie jemand weiß, der sie von früher her kennt und bestimmt mit ihr was gehabt
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