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Im Krebsgang

Im Krebsgang

Titel: Im Krebsgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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hat. Denn sobald er von Tulla redet... Kommt ins Schwärmen... Redet mystisches Zeug... Irgendein kaschubischer oder koschnäwischer Wassergeist, Thula, Duller oder Tul, soll ihr Pate gewesen sein.
Mit schräggestelltem Köpfchen, so daß ihr steingrauer Blick Übereinkunft mit den Glasaugen des Fuchses fand, fixierte Mutter die vortragenden Gutachter. Saß da und hörte sich unbewegt an, wie mein väterliches Versagen als Leitmotiv allem Papiergeraschel beigemengt war und eine ihr gefällige Musik machte. Sie kam in den Gutachten nur am Rande vor. Hieß es doch: »Die an sich wohlwollende großmütterliche Fürsorge hat dem gefährdeten Jugendlichen nicht Vater und Mutter ersetzen können. Allenfalls kann vermutet werden, daß das schwere Schicksal der Großmutter, ihr Überleben als Schwangere sowie die Niederkunft angesichts des sinkenden Schiffes, auf das Enkelkind Konrad Pokriefke einerseits prägend, andererseits durch heftig eingebildetes Miterleben verstörend gewirkt hat...«
Diese von den Gutachtern gehauene Kerbe versuchte der Verteidiger zu vertiefen. Ein bemühter Mann meines Alters, den meine Ehemalige bestellt hatte, dem es aber nicht gelungen war, Konnys Vertrauen zu gewinnen. Immer wenn er von einer »unbedachten, nicht vorsätzlichen Tat« sprach und versuchte, den Mord zum bloßen Totschlag abzumildern, machte mein Sohn alle Bemühungen seines Verteidigers mit freiwilligen Geständnissen zunichte: »Ich nahm mir Zeit und war ganz ruhig dabei. Nein, Haß spielte keine Rolle. Meine Gedanken waren rein sachlicher Art. Nach dem ersten, leider zu tief angesetzten Bauchschuß habe ich die drei weiteren Schüsse gezielt abgegeben. Leider mit einer Pistole. Hätte gerne, wie Frankfurter, einen Revolver zur Verfügung gehabt.«
Konny trat als Verantwortungsträger auf. Zu schnell hochgewachsen, stand er mit Brille und Lockenhaar als Ankläger seiner selbst vor Gericht. Er sah jünger als siebzehn aus, sprach aber so altklug daher, als hätte er Lebenserfahrung in Schnellkursen gesammelt.
Zum Beispiel lehnte er ab, die Mitschuld seiner Eltern zu akzeptieren. Nachsichtig lächelnd sagte er: »Meine Mutter ist ganz okay, auch wenn sie mir mit ihrem dauernden Auschwitzgerede oft auf die Nerven gegangen ist. Und meinen Vater sollte das Gericht schnell vergessen, wie ich das seit Jahren tue, ihn glatt vergessen.«
Hat mein Sohn mich gehaßt? War Konny überhaupt fähig zu hassen? Haß auf die Juden hat er mehrmals verneint. Ich neige dazu, von Konrads versachlichtem Haß zu sprechen.
Haß auf Sparflamme. Ein Dauerbrenner. Ein sich leidenschaftslos, zwitterhaft vermehrender Haß.
Oder könnte es sein, daß der Verteidiger gar nicht falsch lag, als er die durch Mutter verursachte Fixierung auf Wilhelm Gustloff zur Suche nach einem Vaterersatz umdeutete?
Er gab zu bedenken, daß die Ehe der Gustloffs kinderlos gewesen sei. Dem suchenden Konrad Pokriefke habe sich somit eine virtuell aufzufüllende Lücke geboten. Schließlich erlaube die neue Technologie, insbesondere das Internet, solche Flucht aus jugendlicher Einsamkeit.
Für diese Vermutung spricht, daß Konny, sobald ihm der Richter zu diesem Punkt der Verhandlung das Wort erteilte, mit Begeisterung, mehr noch, mit Wärme von dem »Blutzeugen« sprach. Er sagte: »Nachdem meine Nachforschungen ergeben haben, daß Wilhelm Gustloffs soziales Engagement mehr von Gregor Strasser als vom Führer beeinflußt worden ist, habe ich nur in ihm mein Vorbild gesehen, was auf meiner Homepage wiederholt und deutlich zum Ausdruck gekommen ist. Dem Blutzeugen verdanke ich meine innere Haltung. Ihn zu rächen war mir heilige Pflicht!«
Als ihn daraufhin der Jugendstaatsanwalt ziemlich insistierend nach den Gründen für seine Verachtung der Juden befragte, sagte er: »Das sehen Sie völlig falsch! Im Prinzip habe ich nichts gegen Juden. Doch vertrete ich, wie Wilhelm Gustloff, die Überzeugung, daß der Jude innerhalb der arischen Völker ein Fremdkörper ist. Sollen sie doch alle nach Israel gehen, wo sie hingehören. Hier sind sie nicht zu ertragen, dort braucht man sie dringend im Kampf gegen eine feindliche Umwelt. David Frankfurter lag total richtig mit seiner Entscheidung, gleich nach der Entlassung aus der Haft nach Palästina zu gehen. War völlig okay, daß er später in Israels Verteidigungsministerium Arbeit gefunden hat.«
Im Verlauf des Prozesses konnte man den Eindruck gewinnen, von allen, die dort zu Wort kamen, rede einzig mein Sohn Klartext. Schnell kam er zur

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