Im Krebsgang
betonte abschließend die »antifaschistische Tradition« seiner Schule; dem westdeutschen fiel nur die ziemlich abgenutzte Formel »Wehret den Anfängen!« ein.
Insgesamt verliefen die Zeugenvernehmungen sachlich, wenn man von Mutters Ausbrüchen absieht, desgleichen von den Aussagen der Zeugin Rosi, die weinend nur immer beteuerte, wie treu sie fernerhin zu ihrem »Kameraden Konrad Pokriefke« stehen werde.
Da Verhandlungen vor Jugendstrafkammern nicht öffentlich sind, fehlte für publikumswirksame Vorträge der Hallraum. Dann jedoch gab der Vorsitzende Richter, der sich manchmal, als wollte er den todernsten Hintergrund des Verfahrens auflockern, kleine Scherze erlaubte, meinem Sohn die Möglichkeit, das Motiv seiner Tat zu belichten, was Konny ausgiebig und hungrig nach freiem Vortrag getan hat.
Natürlich fing er bei Adam und Eva an, was heißen soll, mit der Geburt des späteren Landesgruppenleiters der NSDAP. Indem er dessen organisatorische Leistungen in der Schweiz hervorhob und das Auskurieren der Lungenkrankheit als Sieg »der Stärke über das Schwache« ausrief, gelang es ihm, sich naturgetreu einen Helden zu schnitzen. So fand er Gelegenheit, endlich den »großen Sohn der Landeshauptstadt Schwerin« zu feiern. Wäre Publikum zugelassen gewesen, hätte in den hinteren Reihen zustimmendes Murmeln laut werden können.
Als es in seinem Vortrag - Konrad löste sich bald von Notizen und zitierbarem Material - um die Vorbereitung und Ausführung des Mordes von Davos ging, legte er Wert auf die legale Beschaffung der Tatwaffe und auf die Zahl der abgegebenen Schüsse: »Wie ich, so hat David Frankfurter vier Mal getroffen.« Auch dessen vor dem Kantonsgericht geäußerte Begründung der Tat, er habe geschossen, weil er Jude sei, wurde von meinem Sohn in
Parallele gesetzt, dann aber erweitert: »Ich habe geschossen, weil ich Deutscher bin - und weil aus David der ewige Jude sprach.«
Mit dem Prozeß vor dem Kantonsgericht in Chur hielt er sich nicht lange auf, sagte allerdings, daß er - im Gegensatz zu Professor Grimm und dem Parteiredner Diewerge - keine jüdischen Anstifter zur Tat sehe. Aus Gründen der Fairneß müsse gesagt werden: Wie er, so habe auch Frankfurter »ganz aus innerer Notwendigkeit« gehandelt.
Danach ließ Konrad den in Schwerin abgefeierten Staatstrauerakt ziemlich bildhaft ablaufen, gab sogar übers Wetter Auskunft, »leichter Schneefall«, und vergaß bei der Schilderung des Trauerzuges keinen Straßennamen. Dann, nach einem selbst für den geduldigen Richter ermüdenden Exkurs über »Sinn, Aufgabe und Leistung der NSGemeinschaft Kraft durch Freude «, kam er zur Kiellegung des Schiffes.
Dieser Teil seiner Rede vor Gericht bereitete meinem Sohn offensichtlich Spaß. Mit Händen redend gab er Länge, Breite und Tiefgang des Schiffes an. Und mit dem Stapellauf und der Taufe durch die, wie er sagte, »Witwe des Blutzeugen«, fand er Gelegenheit, anklagend auszurufen: »Hier, in Schwerin, ist Frau Hedwig Gustloff gleich nach dem Niedergang des Großdeutschen Reiches widerrechtlich enteignet und später aus der Stadt getrieben worden!«
Dann kam er auf das Innenleben des getauften Schiffes. Über Fest- und Speisesäle, die Kabinenzahl, das Schwimmbad im E-Deck gab er Auskunft. Schließlich sagte er zusammenfassend: »Das klassenlos fahrende Motorschiff Wilhelm Gustloff war und bleibt der lebendige Ausdruck des nationalen Sozialismus, beispielhaft bis heute und wahrhaft nachwirkend in alle Zukunft!«
Mir kam es vor, als lauschte mein Sohn nach letztem Ausrufezeichen dem Beifall eines imaginierten Publikums; aber zugleich wird er den um Strenge bemühten, nunmehr Kürze anmahnenden Blick des Richters erfaßt haben. Relativ schnell, wie Herr Stremplin hätte sagen können, kam er zur letzten Fahrt und zur Torpedierung des Schiffes. Die erschreckend hohe Zahl der beim Untergang Ertrunkenen und Erfrorenen nannte er »grob geschätzt« und setzte sie ins Verhältnis zu den Zahlen weit weniger Toter bei anderen Schiffsuntergängen. Dann nannte er die Zahl der Geretteten, hob danksagend die Kapitäne hervor, unterschlug mich, seinen Vater, erwähnte aber seine Großmutter: »Im Saal befindet sich die siebzigjährige Frau Ursula Pokriefke, in deren Namen ich hier und heute Zeugnis ablege«, woraufhin sich Mutter erhob und weißhaarig, mit Fuchs um den Hals, Figur machte. Auch sie trat wie vor großem Publikum auf.
Als wollte Konny den nur ihm hörbaren Beifall beenden, gab er sich nun betont
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