Im Kreis des Wolfs
und toten Tieren, was es vermutlich auch tat, obwohl ihm selbst das nicht auffiel. Diesem Calder erging es da offenbar anders, obwohl er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.
Lovelace setzte sich auf den Campingstuhl am Ofen, klemmte sich den Plastikeimer mit dem Rehkopf zwischen die Beine und machte sich wieder an die Arbeit. Er hatte ihn bereits halb gehäutet, als er hörte, wie Calders Truck unten auf dem Weg langsamer wurde und dann anhielt. Gar kein schlechtes Gehör, dachte er, für einen so alten Knacker wie mich. Bin ja schließlich auch schon neunundsechzig.
Während er sich weiter mit dem Rehkopf beschäftigte, erzählte Calder ihm die Geschichte von dem Wolf und dem Ärger, den sie damit in Hope hatten. Da es keinen zweiten Stuhl gab, lehnte er sich mit dem Rücken an die Werkbank, die an einer Seite des Raums stand. Sein Blick wanderte über die Wände und die Holzbalken des Dachs, an denen überall Fallen, Drähte, Schlingen und die Häute und Schädel von Tieren hingen.
Lovelace erinnerte sich an den Vater dieses Mannes, an Henry Calder. Sein eigener Vater hatte ihn immer »König Henry« genannt und sich darüber lustig gemacht, wie arrogant und hochnäsig er war. Lovelace konnte sich sogar daran erinnern, in einem Sommer Anfang der fünfziger Jahre bei den Calders geholfen zu haben, als es oben in den Bergen keine Büffelbeeren gab und die Grizzlys ins Tal kamen und um die Kühe schlichen. Mit seinem Vater hatte er dreiausgewachsene Tiere gefangen und vier oder fünf Jungtiere geschossen.
An diesen Mann hier, der da auf ihn einredete, konnte er sich allerdings nicht erinnern, aber in den Fünfzigern dürfte Buck Calder noch ein kleiner Junge gewesen sein. Später hatte Lovelace meist auswärts gearbeitet, in Mexiko oder Kanada. Sechsundfünfzig hatte er dann Winnie geheiratet und war mit ihr nach Big Timber gezogen. Nach Hope war er nur noch selten gekommen.
»Also, was meinen Sie?«
»Wölfe töten ist gegen das Gesetz.«
Calder lächelte verständnisvoll, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. Er hatte etwas Selbstgefälliges, und das gefiel Lovelace nicht sonderlich.
»Wer sollte davon Wind bekommen?«
»Man wird die Tiere mit Argusaugen beobachten.«
»Stimmt.« Calder blinzelte ihm zu und grinste. »Aber Sie hätten Zugang zu Insiderinformationen.«
Er wartete schweigend auf eine Reaktion, aber Lovelace war nicht zu Scherzen aufgelegt. Was er wissen wollte, würde er schon noch erfahren.
»Mein Sohn geht der Biologin zur Hand. Er weiß, wo die Wölfe sind, was sie tun, einfach alles.«
»Dann brauchen Sie ja meine Hilfe nicht.«
»Doch, der Junge sieht die ganze Geschichte nämlich mehr mit den Augen der Biologin als mit den meinen.«
»Und wieso sollte er Ihnen dann die Insiderinformationen geben?«
»Keine Sorge, die werd ich mir schon beschaffen.«
Der Rehkopf war mittlerweile fast gehäutet. Lovelace legte das Messer beiseite und schälte das Fell behutsam wie eine Maske vom Gesicht.
»Wie ich sehe, arbeiten Sie als Tierpräparator«, sagte Calder.»Wir jagen ziemlich viel. Machen Sie so etwas auch für andere?«
»Nur für Freunde.«
Das war gelogen. Die einzigen Freunde, die er je gekannt hatte, waren Winnies Freunde gewesen. Und von denen hatte sich seit Monaten keiner mehr gemeldet, was ihm nur recht war.
»Also, Mr. Lovelace, was sagen Sie?«
»Wozu?«
»Wollen Sie uns helfen? Den Preis können Sie selbst bestimmen.«
Lovelace stand auf und nahm den Eimer. Er trug ihn zum Becken aus rostfreiem Stahl am anderen Ende der Werkbank und kippte das Blut aus. Dann reinigte er die Messer und dachte nach.
Es war drei Jahre her, dass er zuletzt illegal, und zwei Jahre, dass er oben in Alberta das letzte Mal legal Wölfe getötet hatte. Nachdem sie ihn jahrelang gedrängt hatte, sich endlich zur Ruhe zu setzen, war es Winnie schließlich gelungen, ihn zu überreden. Und dann, als er sich gerade daran gewöhnt hatte, als er sogar anfing, es zu genießen, da bekam sie Krebs. Ihr kleiner Körper war voll mit Metastasen, und innerhalb von drei Wochen war sie tot.
Eigentlich brauchte er eine Beschäftigung, etwas, das ihn ablenkte. Und dies war das erste Angebot seit der Beerdigung. Die Fallen da oben am Balken hatten schon Rost angesetzt, aber das würde er schon wieder hinbekommen.
Er trocknete die Messer ab und spülte das Blut aus dem Becken.
»Was ist denn das für ein Drahtgestell da oben mit all den kleinen Metallstückchen, wenn ich fragen
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