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Im Kreis des Wolfs

Im Kreis des Wolfs

Titel: Im Kreis des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Evans
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ließ Helen an die jungen Soldaten denken, die Joel in seinem Brief beschrieben hatte.
    Sie beobachtete Luke, wie er durch den Wald zum Weg herunterkam, über der Schulter die Fallen, die er gerade eingesammelt hatte. Sie mussten sämtliche Fallen abbauen, da es ihrer Sache wohl kaum diente, wenn ein Jäger in eine hineintrat. Doch als Helen die beiden Typen im Rückspiegel sah, gefiel ihr der Gedanke gar nicht so schlecht.
    Als die Jäger auf Höhe des Wagens waren, trat Luke aus dem Wald. Ruckartig fuhr Buzz hoch, sah die Männer undbegann zu bellen und zu knurren. Helen befahl ihm, still zu sein, und kurbelte das Fenster herunter.
    Die Jäger musterten die Fallen, die Luke zu den bereits eingesammelten auf die Ladefläche warf. Helen glaubte, einen der Männer von der Wolfsversammlung wiederzuerkennen, und als die beiden an ihr vorbeigingen, lächelte sie ihm zu und sagte hallo. Ohne eine Miene zu verziehen, nickte er kaum merklich mit dem Kopf. Doch einige Schritte weiter sagte er etwas zu seinem Begleiter, das Helen nicht verstand, woraufhin sich der Mann nach ihr umdrehte. Dann fingen beide an zu lachen. Luke setzte sich ans Steuer.
    »Rambo-Idioten«, sagte Helen.
    Luke lächelte. Er ließ den Motor an.
    »Waren Sie n-nie auf Jagd?«
    »Nein, aber ich kenne genügend Biologen, die auf Jagd gehen. Dan Prior zum Beispiel. Er war mal Großwildjäger, und darüber haben wir uns bei unserer gemeinsamen Arbeit in Minnesota endlos gestritten.«
    Sie fuhren jetzt an den Jägern vorbei. Helen lächelte sie erneut freundlich an. Buzz knurrte.
    »Dan behauptete stets, im Grunde sei der Mensch ein Raubtier und dürfe den Kontakt zu seinem innersten Wesen nicht verlieren. Er sagte, es sei das Problem unserer Gattung, dass wir uns zu sehr von unserer wahren Natur entfernt haben. Und die eine Hälfte in mir sagt, okay, stimmt, die andere aber hält das bloß für einen verdammt guten Vorwand der Männer, sich als echte Kerle aufzuspielen, so nach dem Motto: ›He, wir sind geborene Killer, also los, Kumpel, lass uns was killen.‹ Ich persönlich bin ehrlich gesagt eine lausige Schützin.«
    Luke lachte.
    »Was ist mit Ihnen?«, fragte Helen. »Waren Sie schon mal auf der Jagd?«
    »Ja, einmal. Mit dreizehn.«
    An der Art, wie sich sein Gesichtsausdruck veränderte, merkte Helen, dass sie einen wunden Punkt getroffen hatte.
    »Sie müssen es mir nicht erzählen.«
    »Ist sch-sch-schon in Ordnung.«
    Er berichtete von dem Elch, wie er auf ihn geschossen, ihn verwundet im Baum gefunden und sein Vater ihn dann gezwungen hatte, ihm beim Ausweiden zu helfen. Während er redete, hielt er den Blick starr auf den Weg gerichtet. Helen betrachtete ihn über Buzz’ Kopf hinweg und versuchte, sich vorzustellen, was er ihr erzählte.
    Seit jenem kalten Morgen, an dem er sie völlig apathisch in ihrer Hütte gefunden hatte, war eine Nähe zwischen ihnen entstanden, wie sie sie bisher noch nie erlebt hatte. Sie wusste, ohne ihn hätte sie das nicht durchgestanden.
    Und während sie sich langsam von ihrem Schock erholte, jeden Tag ein bisschen mehr, hatte er dafür gesorgt, dass sie etwas aß, dass sie schlief und es warm hatte. Spätabends erst, wenn er die Lampen gelöscht und Holz im Ofen nachgelegt hatte, machte er sich auf den Heimweg. Und beim Morgengrauen war er wieder da, ließ Buzz hinaus und machte Kaffee.
    In den ersten Tagen hatte Helen kaum ein Wort herausgebracht. Es war wie in einem Wachkoma. Doch statt in Panik zu geraten oder sie mit Fragen zu belästigen, hatte er sich still um sie gekümmert, als sei sie ein verletztes Tier, als verstehe er auch ohne viele Worte, was geschehen war.
    Erst später erwähnte er, dass sein Vater ihm erlaubt hatte, ihr, wenn sie einverstanden sei, mit den Wölfen zu helfen. Und während sie in der Hütte lag oder in Decken gehüllt draußen im fahlen Sonnenschein saß, machte er sich an die Arbeit, überprüfte die Fallen und hörte die Signale der halsbandtragenden Wölfe ab.
    Wenn er abends zur Hütte zurückkam, gab er ihr seine Notizen, und während er das Abendessen zubereitete, berichtete er, was er getan und gesehen hatte. Trotz ihres Kummers erkannte sie, dass er in seinem Element war.
    In letzter Zeit schien sein Stottern manchmal völlig verschwunden zu sein. Es kehrte nur zurück, wenn er von seinem Vater sprach oder aufgeregt war. So wie an jenem Morgen, als er zu ihr rannte und rief, dass ein Wolf in einer der Fallen sei.
    »Sie müssen m-m-mitkommen.«
    »Luke, ich kann nicht

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