Im Kreis des Wolfs
…«
»Aber Sie m-m-müssen. Ich weiß nicht, w-w-was ich machen soll.«
Er half ihr beim Anziehen und Zusammensuchen ihrer Sachen. Dann fuhr er mit ihr im Toyota zu einem engen Cañon hoch über der Millward-Ranch, wo sich die Wölfe neuerdings häufig aufhielten. Er lenkte den Wagen so schnell über die schmalen Holzfällerwege, dass sie manchmal die Augen schließen musste.
Wie sich herausstellte, hatten sie einen der Welpen, ein Weibchen, gefangen. Nach Helens Anweisungen erledigte Luke die meiste Arbeit, maß und notierte, überließ es aber ihr, die Spritzen zu geben und die Blut- und Kotproben zu nehmen. Der Welpe wog etwas mehr als dreißig Kilo und würde noch wachsen, also legten sie ihm ein Halsband für ausgewachsene Tiere um, das sie mit Schaumgummi und Tesamoll polsterten.
Für Helen bedeutete dieser Tag eine Wende. Lukes Begeisterung schien in ihr einen Funken Hoffnung zu wecken, dass das Leben eines Tages doch wieder schön sein könnte.
Sie weinte sich immer noch fast jeden Abend in den Schlaf oder lag wach und stellte sich vor, wie Joel mit seiner perfekten Belgierin vor den Traualtar trat. Immer wiedersagte sie sich, dass es verrückt sei, sich so elend zu fühlen, da sich doch eigentlich nichts geändert hatte. Seit seiner Bewerbung um diesen Job war es zwischen ihr und Joel aus gewesen. Doch so sehr sie sich auch bemühte, anderes zu denken – seine Heirat bewies, wie wertlos sie war.
Sie bestrafte sich, indem sie das Rauchen aufgab, und war überrascht, wie leicht es ihr fiel. Nur manchmal machte sie der Entzug aggressiv, so zum Beispiel an dem Abend, an dem ihr Dan das Schneemobil brachte.
Er hatte sie in ein schickes Restaurant nach Great Falls ausführen wollen, doch im letzten Moment musste sie ihm dann sagen, dass ihr einfach die Kraft dazu fehlte. Er hatte ziemlich verletzt reagiert und versucht, sie zu überreden, bis sie ihn schließlich anschrie.
Doch für Luke waren ihre Launen kein Problem. Er schien zu verstehen, wenn sie plötzlich wütend wurde oder in Tränen ausbrach. Dann nahm er sie in den Arm und hielt sie fest, bis sie zu weinen aufhörte, so wie an jenem ersten, frostkalten Morgen.
Während er ihr die Geschichte von dem Elch erzählte, fragte sie sich erstaunt, wie er es als Sohn eines solchen Vaters geschafft hatte, so sanft und zärtlich zu sein. Er musste es von seiner Mutter haben, einer Frau, deren freundliche Zurückhaltung Helen bisher nicht zu durchbrechen vermocht hatte.
Lukes Stottern wurde schlimmer.
»Mein V-V-Vater war st-st-stinksauer. Er w-w-wollte immer, dass ich so w-w-werde wie mein B-Bruder. Der hat schon mit z-z-zehn einen S-S-Sechsender geschossen.«
»Ich wusste gar nicht, dass Sie einen Bruder haben.«
Luke schluckte und nickte.
»Er ist t-t-tot. Starb v-v-vor fast elf J-J-Jahren.«
»Oh, das tut mir leid.«
»B-b-bei einem A-A-Autounfall. Er war f-f-fünfzehn.«
»Wie grausam.«
»Ja.«
Mit einem grimmigen, kurzen Lächeln sah er zu ihr herüber. Sie verstand, dass er nicht weiter darüber reden wollte. Dann wies er mit einem Nicken auf den Empfänger am Armaturenbrett.
»W-W-Warum hören Sie nicht die Fallensignale ab? Vielleicht h-h-haben wir ja noch mal Glück gehabt.«
»Sie sind der Boss.«
Sie griff nach dem Empfänger und stellte ihn an. Es waren nur noch zwei Fallen einzusammeln. Die Chance, dass sie noch einen weiteren Wolf gefangen hatten, war gering. Schade, dachte Helen, vor Beginn der Jagdsaison hätte sie gern mindestens vier Tieren aus dem Rudel ein Halsband umgelegt – und davon am liebsten zwei Welpen.
Die meisten Jäger waren vernünftig und hielten sich an das Gesetz, doch gab es auch andere, die auf alles schossen, was sich bewegte. Wenn aber das Tier ein Halsband trug, überlegten sie es sich vielleicht.
Sie fand die Frequenz des Peilsenders der ersten Falle. Es war nichts zu hören.
Anders bei der zweiten.
Sie hatten die Falle an der Gabelung eines Wildwechsels für Rotwild aufgestellt, nicht weit von der Stelle, an der sie den weiblichen Welpen gefangen hatten. Der Pfad war auf beiden Seiten von steilen, mit Gebüsch und jungen Tannen bewachsenen Hängen umgeben. Nach dem Kot und den vielen Spuren zu schließen, die sie dort vorgefunden hatten, musste es sich um eine Art Treffpunkt für Wölfe handeln. Man konnte direkt bis an den Wechsel fahren. Um aber keine allzu große Unruhe zu verbreiten, gingen sie das letzte Stück zu Fuß.
Sie hörten das jämmerliche Schreien schon von weitem, und als sie
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