Im Kreis des Wolfs
die Treppe herunterkam, sah er ihn am Computer sitzen, eine Zigarre zwischen den Zähnen.
»Luke?«
»Ja, Sir.«
»Morgen.«
»M-Morgen.«
Sein Vater machte die Zigarre aus, nahm die Brille mit den Halbgläsern ab, die er zum Lesen benutzte, und lehnte sich dann in seinem schweren Ledersessel zurück.
»Heute nicht draußen bei Helen?«
»Nein, Sir. Heute ist T-T-Therapietag.«
»Ach ja, richtig.«
Sein Vater stand auf und kam ins Wohnzimmer. Er hatte diese freundliche, liebenswürdige Miene aufgesetzt, die Luke stets so misstrauisch machte.
»Frühstückst du jetzt?«
»Ja, Sir.«
»Ich trinke einen Kaffee mit.«
Sein Vater ging vor ihm her in die Küche, nahm die Kanne aus der Kaffeemaschine, schenkte zwei Tassen ein und setzte sich damit an den Tisch. Luke trank nie Kaffee, aber sein Vater vergaß das immer wieder. Luke holte sich seine Cornflakes und nahm ihm gegenüber Platz.
Er wusste, was jetzt kam. In letzter Zeit hatte es eine ganze Reihe dieser kumpelhaften Gespräche unter vier Augen über seine Arbeit mit Helen gegeben. Erst gestern wollte sein Vater etwas über die Frequenzen der Peilsender wissen. Es war schon merkwürdig. Hätte der Typ vorher auch nur das geringste Interesse an Lukes Leben gezeigt, wären manche Dinge sicher ganz anders gelaufen.
»Und? Wie steht’s mit der Therapie?«
»G-G-Ganz gut.«
»Muss die arme Helen heute ganz allein zurechtkommen, wie?«
Luke lächelte. »Ja.«
Sein Vater nickte nachdenklich und trank einen Schluck Kaffee.
»Und wie ist gestern die Wolfssuche verlaufen?«
»G-G-Gut.«
»Wo treiben sie sich denn jetzt so rum?«
»Ach, d-d-die sind mal hier, m-m-mal da.«
»Ja, aber gestern zum Beispiel, wo waren sie da genau?«
Luke schluckte. Ausweichend zu antworten fiel ihm leicht, aber er war überfordert, wenn es um eine klare Lüge ging. Sein Stottern verriet ihn fast immer, und sein Vater beobachtete ihn genau.
»G-G-Gestern waren sie w-w-weit oben. Direkt am K-K-Kamm.«
»Ach ja?«
»Ja, u-u-ungefähr zehn M-M-Meilen südlich der g-g-großen Felswand.«
»Was du nicht sagst!«
Luke merkte, wie sich die Miene seines Vaters verfinsterte, und ärgerte sich, weil er sich so dumm angestellt hatte. Selbst ein Kind wäre nicht auf diese Lüge hereingefallen. Verlegen schaute er auf die Uhr.
»Ich m-m-muss jetzt los.«
»Die Wege sind frei. Clyde hat heute früh schon geräumt.«
Luke stand auf und stellte die leere Schale in die Spülmaschine. Dann griff er nach dem Autoschlüssel, nahm Hut und Jacke vom Haken an der Tür. Dabei spürte er, dass ihn sein Vater nicht aus den Augen ließ.
»Fahr vorsichtig, Luke.«
Die Stimme klang kalt und ausdruckslos. Luke zog den Reißverschluss seiner Jacke zu.
»Mach ich, Sir.«
Er öffnete die Tür und floh.
Die Sitzung mit Joan lief gut.
Sie erzählte ihm von einer neuen Therapiemethode, bei der man den Stotterer auf Video aufnahm. Anschließend schnitt man das Stottern heraus und zeigte ihm, wie es aussah und klang, wenn er fließend redete. Offenbar habe man damit großartige Ergebnisse erzielt, sagte Joan, doch wollte sie seinetwegen kein Geld zum Fenster hinauswerfen, da er in der ganzen Stunde sowieso kaum gestottert habe.
Als sie sich verabschiedeten, legte sie eine Hand auf seinen Arm und sagte, dass er sehr glücklich aussehe. Er hatte sich tatsächlich noch nie in seinem Leben so gut gefühlt, und auf dem Weg zu seinem Wagen fragte er sich, woran sie das sah.
Von der Klinik fuhr er quer durch die Stadt zum Supermarkt, um ein paar Sachen einzukaufen, die er für Helen besorgen sollte. Er parkte seinen Jeep zwischen den Schneehaufen auf dem frisch geräumten Platz. Kaum war er ausgestiegen, sah er Cheryl Snyder und Jerry Kruger auf sich zukommen. Sie hatten ihn schon entdeckt, also gab es kein Entrinnen. Kruger hatte einen Arm um sie gelegt und gab mächtig damit an, als wollte er der Welt zeigen, dass sie beide jetzt zusammengehörten.
»Hey, Cooks! Wie läuft’s denn so?«
»Hi, Luke.«
Sie blieben stehen und plauderten ein paar Minuten miteinander; eigentlich hörte Luke mehr zu, während Kruger endlos redete und Witze riss, die Cheryl nicht mal ein Lächeln entlockten. Was sie gerade an diesem Typ fand, konnte Luke sich nicht vorstellen. Schließlich sagte er, dass er jetzt seine Einkäufe erledigen müsse, und sie verabschiedeten sich. Nach einigen Schritten rief Kruger ihm nach: »Hey, Cooks! Herzlichen Glückwunsch!«
Luke drehte sich um und sah ihn stirnrunzelnd
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