Im Kreis des Wolfs
wurdenvon dieser geisterhaften Fahrt durch einen Ort geweckt, den er einst sein Zuhause genannt hatte. Für ihn war es bloß eine von vielen gesichtslosen Städten.
Buck Calder hatte ihm eine Karte geschickt und eingezeichnet, wie er zu den Hicks fand, bei denen er seinen Trailer abstellen sollte. Aber Lovelace brauchte keine Karte. Er konnte sich gut an den Weg erinnern, führte er doch am alten Haus seines Vaters vorbei. Lovelace fragte sich, ob er etwas empfinden würde, wenn er es wiedersah.
Er hatte Calder gesagt, dass er spät eintreffen werde und es nicht nötig sei, seinetwegen aufzubleiben. Bei einem Job wie diesem kam man am besten ungesehen und blieb ungesehen. Deshalb hatte er gewartet, bis die Jagdsaison vorüber und die neugierigen Amateurjäger wieder aus der Bergwelt verschwunden waren.
Sobald er die Stadt verlassen hatte, schaltete er das Abblendlicht ein. Fünf Meilen weit folgte er den Schneefurchen auf dem Schotterweg, doch das einzige Lebenszeichen, das er entdeckte, war eine Eule, die auf einem Zaunpfosten hockte und ihn mit ihren riesigen Augen beobachtete.
Das Tor zum alten Haus seines Vaters war von Unkraut überwuchert und verschwand fast unter Schneewehen. Lovelace hielt so an, dass die Scheinwerfer das Haus anstrahlten. Wenn er den Motor ausmachte und das Fenster herunterkurbelte, hörte er vielleicht den Hope River rauschen. Aber er tat es nicht. Es war eine frostkalte Nacht, und die Kälte steckte ihm in den alten Knochen.
Er konnte das Haus deutlich durch die kahlen Äste der Pappeln erkennen. Es stand seit langem leer, das sah man auf den ersten Blick. Ein zerbrochenes Fliegengitter hing an jenem Fenster, hinter dem einmal die Küche gewesen war, und das Wrack eines Wohnwagens stand mit klaffendemDach auf dem Hof. Schnee hatte sich vor den Fenstern aufgetürmt, als wären sie mit Leichentüchern verhangen.
Lovelace wusste, dass solche Augenblicke gewöhnlich nostalgische Gefühle heraufbeschworen, aber er empfand überhaupt nichts, so sehr er sich auch bemühte. Am ehesten überraschte ihn noch, dass kein Stadtmensch das Haus abgerissen und sich ein modernes Wochenendhäuschen hingestellt hatte. Er schlug das Lenkrad ein und fuhr ins Tal.
Endlich sah er den mächtigen Torbogen der Calder-Ranch mit dem Ochsenschädel darüber, der eine Mütze aus Schnee trug und all jene im Auge behielt, die sich der Ranch näherten. Eine Meile dahinter befand sich das Ranchhaus. Auf dem Hof brannte Licht, und Lovelace konnte parkende Autos und zwei Hunde sehen, die aus einer der Scheunen gerannt kamen, dann aber stehenblieben, als er nach links auf den Weg zur Hicks-Ranch einbog.
Als er sie erreichte, stellte er den Trailer unter einigen hohen Bäumen hinter den Scheunen ab, wo er, so Calder, nicht einmal aus der Luft gesehen werden konnte. Außer ihm wussten nur Hicks und seine Frau, dass und warum er komme, hatte Calder versichert.
Der eisige Wind schlug ihm ins Gesicht, als er aus dem Wagen stieg. Es mussten an die vierzehn, fünfzehn Grad minus sein. Er klappte die Ohrschützer seiner Fellmütze herunter und ging zurück zum Trailer, vorbei an dem Schneemobil, das auf der Ladefläche seines Chevys stand. Die Stiefel versanken mit lautem Knirschen im überfrorenen Schnee. Im Haus bellte ein alter Hund.
Vor der Tür zum Trailer blieb er stehen und schaute zum Himmel. Er war sternenklar, doch Lovelace hätte sich Wolken gewünscht, die die Kälte ein wenig linderten.
Im Trailer zündete er eine Lampe an und stellte einen Topf Milch auf den Spiritusofen. Dann setzte er sich zitterndvor Kälte auf die Pritsche, um zu warten, und versuchte sich die Hände unter den Achseln zu wärmen. Als die Milch warm war, goss er sie in einen Becher, wölbte die Hände darum und trank. Sie wärmte ihn nicht.
Im Trailer gab es einen Holzofen, aber ihm fehlte die nötige Kraft, ihn in Gang zu setzen. Der Wagen war ein Arbeits-, kein Luxusgefährt. Er sah wie eine kleinere Ausgabe seiner Fallenkammer aus und war etwa sechs Meter lang; ein schmaler, mit Linoleum ausgelegter Gang führte von Pritsche und Kochnische im vorderen Teil, zu Tisch und Werkbank am anderen Ende. Die Ausrüstung hatte Lovelace in Holzschränken im ganzen Trailer versteckt. Er hatte sie selbst gebaut und eingepasst, und nur er kannte die verborgenen Türen, hinter denen er jene Dinge aufbewahrte, die seinen wahren Beruf verrieten: die Fallen, Schlingen und Töpfe mit Köderfleisch, sowie das zerlegbare deutsche »Heckenschützengewehr«
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