Im Kreis des Wolfs
Millward.
Seine Schwester Lucy versetzte ihm einen Stoß in die Rippen. »Das war doch bloß ein Witz, du Esel.«
Einen Augenblick herrschte Stille. Helen sah, dass Buck Calder sie beobachtete.
»Glauben Sie das auch, Helen?«, fragte er.
»Dass sie fürs Wetter verantwortlich sind?«
Sie bedauerte die freche Bemerkung, sobald ihr die Worte entschlüpft waren. Das Gelächter, das sie hervorriefen, veränderte unmerklich Calders Lächeln, und Helen spürte, wie sich Luke auf seinem Stuhl wand. Hastig fuhr sie fort: »Sicher, sie reißen Elche und Hirsche, denn davon ernähren sie sich hauptsächlich, also dürfte ihre Anwesenheit nicht ganz ohne Auswirkung bleiben.«
Clyde schnaubte verächtlich und zog sich damit einen strafenden Blick seiner Frau zu. Luke beugte sich vor und räusperte sich.
»Wir h-h-haben in den letzten W-W-Wochen ziemlich viele Elche und Hirsche gesehen.«
»Haben wir«, sagte Helen. »Das stimmt.«
Einen Moment lang sprach niemand ein Wort. Eleanor stand auf, um das Geschirr abzuräumen.
»Tja, ich weiß nicht«, sagte sie, »wenigstens reißen sie kein Vieh mehr.«
»An meines haben sie sich sowieso nie rangewagt«, sagte Doug Millward.
Luke zuckte die Achseln. »Schmeckt w-w-wahrscheinlich nicht so gut.«
Alle, selbst Lukes Vater, brüllten vor Lachen, und die Unterhaltung wandte sich wieder anderen Themen zu. Als niemand hinschaute, wandte sich Helen Luke zu.
»Danke, Partner«, sagte sie leise.
An diesen Blick und die Berührung ihrer Hände, als sein Vater das Gebet sprach, musste Luke noch lange denken.
Es machte ihn stolz, dass sie ihn Partner genannt hatte. Und wie er an diesem Abend so neben ihr gesessen hatte, war er sich fast wie ihr Freund vorgekommen. Wenn so viele Leute um einen Tisch saßen, hielt er normalerweise den Mund, damit er nicht stotterte. Doch Helen an seiner Seite zu wissen gab ihm so großes Selbstvertrauen, dass er sie, ohne nachzudenken, verteidigt hatte. Ja, er hatte sogar einen Witz gemacht.
Luke kam es so vor, als wären sie sich in den folgenden zwei Wochen noch nähergekommen. Doch wenn er von ihr träumte, und das tat er oft, dann war sie immer mit jemand anderem zusammen, erkannte ihn nicht oder lachte ihn aus, jenen Traum ausgenommen, den er in der letzten Nacht gehabt hatte.
Er spazierte mit ihr am äußersten Rand des Meeres auf einem langgezogenen, weißen, von Palmen gesäumten, wunderschönen Sandstrand, so wie man ihn aus Reisebroschüren kennt. Sie trug ein gelbes, schulterfreies Kleid. Die sanften Wellen spülten über den Sand und schäumten um ihre nackten Füße. Das Wasser war warm und klar, und in den Wellen konnte er, kurz bevor sie sich brachen, große Schwärme von Fischen erkennen.
Er zeigte sie ihr, und Helen blieb stehen. Ihre Schultern berührten sich, und beide sahen zu, wie diese Fische in allennur erdenklichen Farben und Formen in vollendeter Harmonie hierhin und dorthin flitzten.
Es war einer jener Träume, von denen man weiß, dass sie Träume sind, noch während sie andauern, jene Art Traum, die sich verflüchtigt, wenn die Wirklichkeit einbricht, wie sehr man sich auch daran klammert. Doch Luke hatte herausgefunden, dass es manchmal im Schwebezustand zwischen Schlaf und Wachen einen Augenblick gab, in dem man die Ereignisse bestimmen konnte. Und so war es an diesem Morgen gewesen. Er hatte sich gewünscht, dass Helen sich zu ihm umdrehte, und das hatte sie auch getan. Und in der Sekunde, ehe er wach wurde, hatte sie sich mit ihrem Mund dem seinen genähert, und beinahe hätten sie sich geküsst.
Er dachte an diesen Traum, während er sich duschte und rasierte. Er wusste, dass er ihn den ganzen Tag über immer wieder durchleben würde. Der Anlass für diesen Traum war ganz offensichtlich der Brief ihres Vaters, den Helen gestern erhalten hatte, ein Brief mit der Einladung zur Hochzeit und einem Flugticket nach Barbados. In drei Wochen schon würde sie fliegen und länger als eine Woche über Weihnachten wegbleiben.
Luke zog sich an und ging nach unten, um zu frühstücken.
Es war Viertel vor acht. An jedem anderen Tag wäre er bereits seit zwei Stunden auf und mit Helen im Wald unterwegs gewesen. Doch heute war Mittwoch: Sprachtherapie. Seine Mutter hatte er bereits fortfahren hören. Da es nicht mehr lang bis Weihnachten war, half sie Ruth nun fast jeden Tag im Laden.
Das Büro seines Vaters ging vom Wohnzimmer ab. Er ließ die Tür stets offen, damit er verfolgen konnte, was sich im Haus tat. Als Luke
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