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Im Kreis des Wolfs

Im Kreis des Wolfs

Titel: Im Kreis des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Evans
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sich neben Ruth und begutachtete ihr Werk.
    »Gefällt mir«, sagte Ruth.
    »Mmm. Wo sollen wir die andere hinhängen?«
    »Hinten in den Laden?«
    Sie trugen die Leiter nach hinten und wiederholten die gleiche Prozedur, während Eleanor ihre Geschichte weitererzählte.
    »Nachdem Henry gestorben war, bin ich jedenfalls noch häufiger hingegangen. Habe kaum eine Messe ausgelassen. Wie die meisten Leute, wenn etwas Schreckliches in ihrem Leben passiert. Wissen Sie, man sucht nach einer Erklärung, nach einem Zeichen, nach einem Hinweis darauf, dass der, den man verloren hat, irgendwo anders lebt und glücklich ist. Und eines Tages habe ich dann begriffen, nun … dass er nicht mehr da ist.«
    Ruth runzelte die Stirn und versuchte, sie zu verstehen.
    »Ihr Sohn, meinen Sie?«
    »O nein. Der ist da, keine Frage. Dem geht es gut, das weiß ich. IHN meine ich.«
    »Sie wollen also sagen, dass Sie zwar an den Himmel, aber nicht an Gott glauben?«
    »Ganz genau.«
    Inzwischen hing auch die zweite Girlande. Eleanor stieg von der Leiter, um sie zu betrachten.
    »Was meinen Sie?«
    Sie schaute Ruth an und stellte überrascht fest, dass Ruth sie und nicht die Girlande ansah.
    »Sie sind eine wunderbare Frau, Eleanor. Wissen Sie das?«
    »Seien Sie doch nicht albern.«
    »Ich meine es ernst.«
    »Nun, ich finde, Sie sind auch ganz in Ordnung.«
    Ruth machte eine kleine, spöttische Verbeugung. »Herzlichen Dank, Madame.«
    »Darf ich Ihnen auch eine persönliche Frage stellen?«, fragte Eleanor, während sie die Leiter zusammenklappte. Es war nicht fair, das wusste sie, und sie kam sich ein wenig hinterhältig vor; doch es gab Momente im Leben, die durfte man nicht ungenutzt verstreichen lassen.
    »Natürlich.«
    »Wie lange schlafen Sie schon mit meinem Mann?«

25
    Baby Buck Hicks saugte an der Brust seiner Mutter, als wäre es die letzte Mahlzeit seines Lebens. Clyde lag Kathy schon seit Wochen in den Ohren, dass sie den Jungen endlich an Flaschennahrung gewöhnen sollte. Er hatte nämlich in einem Artikel gelesen, dass es die Figur einer Frau ruiniere, wenn sie allzu lange stille. Doch Kathy ließ sich Zeit. Schließlich machte es ihr genauso große Freude wie dem Kleinen. Außerdem war er noch nicht mal ein Jahr alt.
    Clyde war nur eifersüchtig, und wie er überhaupt zu solchen Artikeln kam, konnte sich Kathy wirklich nicht vorstellen. Vermutlich hatte er in irgendeiner Zeitung was über Kühe gelesen und brachte nun alles durcheinander.
    Sie war schon eine Weile auf, trug aber immer noch ihren pinkfarbenen Morgenmantel, saß auf dem Sofa im kleinen Wohnzimmer und blätterte im
People
-Magazin, während der Kleine trank.
    Sie fand einen dreiseitigen Bericht über Jordan Townsend und Krissi Maxton mit Bildern von den beiden im Cowboylook, wie sie mit einigen Bisons vor ihrer »Traumranch« in Hope, Montana, posierten. Krissi wurde mit der Bemerkung zitiert, dass dies der einzige Ort sei, an dem sie sich »ganz bei sich selbst« fühle. Dabei wirkte sie so, als traue siesich nicht allzu nah an die Bisons heran. Weitere Bilder zeigten die beiden herausgeputzt für die Premiere von Krissis neuem Film
SpaceKill III.
Krissi trug ein glitzerndes Fähnchen, das so ziemlich alles enthüllte, was sie zu bieten hatte. Und Jordan schien sich einem Facelifting unterzogen zu haben, denn er sah aus, als sei er gerade hundertfünf Jahre alt geworden.
    Kathy legte gähnend das Baby an die andere Brust.
    In der Nacht hatte es geschneit. Clyde war mit dem Schneepflug unterwegs und räumte den Weg zur Ranch frei. Die Morgensonne flutete durch die Küchentür und fiel auf Kathys derbe Schaffellstiefel. Im Radio spielten sie schon wieder diesen Song über den Kerl, der sein Sweetheart verloren hatte und Weihnachten deshalb allein mit seinem Pferd verbringen musste.
    Aus den Augenwinkeln sah Kathy plötzlich einen Schatten über den sonnenhellen Boden gleiten. Dann hörte sie Schritte auf den Stufen, und gleich darauf klopfte es zweimal kräftig an die Küchentür. Sie stand auf, bedeckte ihre Brust, und im selben Moment begann das Baby zu schreien. Sie legte sich den Kleinen über die Schulter, klopfte ihm auf den Rücken und ging so mit ihm durch die Küche.
    Das Gesicht, das sie sah, als sie die Tür öffnete, jagte ihr einen solchen Schreck ein, dass sie beinahe das Baby fallen gelassen hätte. Alles an diesem Gesicht war grau, vom Fell der Mütze bis zu den Spitzen der Barthaare. Selbst die Haut, die sich beinahe durchsichtig über die

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