Im Kreis des Wolfs
Sein Vater grinste sarkastisch und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.
»Ich wusste, dass es dir nicht g-g-gefallen würde.«
»Tja, mit der ersten Annahme hattest du unrecht, mit der zweiten nicht. Es
interessiert
mich, aber es gefällt mir nicht. Du wirst zur Montana State University gehen, mein Junge, und du wirst versuchen, ein guter Rancher zu werden, der Färsen nicht einfach krepieren lässt.«
»Wenn er so ein F-F-Feigling ist, dass er es nicht zugeben will, ist mir das egal. Aber ich werde nicht zur Montana State gehen, ich st-st-studiere in Minnesota. Falls man mich nimmt.«
»So, so.«
»Ja, Sir.«
Sein Vater stand auf und kam auf ihn zu. Einen Moment lang spürte Luke, wie ihn sein Mut zu verlassen drohte.
»Und wer glaubst du, wird das bezahlen?«
»Ich f-f-finde schon einen Weg.«
»Ich bezahle.« Das war seine Mutter. Die beiden drehten sich zu ihr um.
»Ich habe gesagt, du sollst dich da raushalten.«
»Wa-Wa-Wa …« Lieber Gott, dachte Luke, lass mich jetzt bitte nicht im Stich.
»Wa-Wa-Wa …«, äffte ihn sein Vater nach.
Luke spürte, wie eiskalte Wut ihn packte.
»Warum musst du eigentlich alle Menschen t-t-terrorisieren? Hast du nicht schon genug Unheil angerichtet? Wir müssen immer so sein, wie du uns haben willst. Und was du nicht v-v-verstehen kannst, das musst du kaputtmachen. Tust du das, weil du Angst hast, oder was?«
»Wie kannst du es wagen, so mit mir zu reden?«
»Also hab ich recht?«
Sein Vater gab ihm eine schallende Ohrfeige. Seine Mutter schrie auf und hielt sich die Augen zu. Clyde sprang ebenfalls auf.
Luke spürte den salzigen, metallischen Geschmack von Blut im Mund. Sein Vater stierte ihn schwer atmend und mit rotem Gesicht an. Er erinnerte Luke an den Grizzly, der ihn im Wald gejagt hatte. Einen Moment lang fragte sich Luke, wieso ihm dieser Anblick keine Angst mehr machte.
»Ich gehe jetzt«, sagte er, und er spürte, wie ihm das Blut aus den Mundwinkeln tropfte. Als sein Vater die Blutspur bemerkte, glaubte Luke, so etwas wie Zweifel in den kalten, grauen Augen aufblitzen zu sehen.
»Du machst dich sofort wieder an die Arbeit.«
»Nein, Sir. Ich gehe.«
»Wenn du das tust, setzt du nie wieder einen Fuß in mein Haus.«
»Ich gehöre hier s-s-sowieso nicht her. Hab ich noch nie.«
Und er nickte seiner Mutter zu und ging aus der Küche.
Oben nahm er zwei Leinentaschen aus dem Schrank und packte ein paar Kleidungsstücke, einige seiner Lieblingsbücher und ein oder zwei Dinge ein, von denen er glaubte, dass er sie brauchen würde. Dann hörte er die Küchentürzuschlagen und sah aus dem Fenster, wie sein Vater wütend durch den Schnee zu den Korrals stapfte, Clyde dicht hinter ihm. Es wurde hell draußen. Luke fragte sich, ob ihn die Ruhe nicht plötzlich verlassen würde, doch sie tat es nicht.
Vom Treppenabsatz blickte er durch die offene Tür ins Schlafzimmer seiner Eltern und sah, dass seine Mutter einen Koffer packte. Er stellte seine Taschen ab und ging zur Tür.
»Mom?«
Sie drehte sich um, und eine Weile schauten sie sich stumm an. Dann breitete sie die Arme aus, und er ging zu ihr und drückte sie an sich. Er sagte nichts, bis ihr Schluchzen nachließ.
»W-W-Wo willst du hin?«
Sie wischte sich die Tränen ab. »Ich habe Ruth angerufen.
Sie sagt, ich kann eine Weile bei ihr bleiben. Gehst du zu Helen?«
Er nickte. Seine Mutter hob den Kopf und schaute ihn an.
»Du liebst sie sehr, stimmt’s?«
Er zuckte die Achseln und versuchte zu lächeln. Plötzlich war ihm auch zum Weinen zumute. Doch er riss sich zusammen.
»Ich weiß nicht«, sagte er. »Glaub schon.«
»Liebt sie dich auch?«
»Ach, Mom …«
»Tut mir leid, geht mich ja auch nichts an.«
Sie umarmte ihn ein letztes Mal und küsste ihn auf die Wange.
»Versprich mir, dass du mich besuchen kommst.«
»Versprochen.«
Er stellte seine Taschen im Wohnzimmer ab, ging zum Gewehrschrank im Büro seines Vaters und nahm sich die .270 Winchester, die ihm seit dem Tod seines Bruders gehörte,auch wenn er sie kaum benutzt hatte. In der Schublade unter den Gewehren fand er eine Schachtel Patronen, die er zusammen mit der Waffe in einer der Taschen verstaute. Vom Haken in der Küche holte er dann noch Mantel, Regenmantel und Hut, nahm ein Paar Ersatzstiefel mit und trug alles zum Jeep.
Als er vom Haus fortfuhr, schaute er über die Weide und sah Moon Eye zwischen anderen Pferden unter den Bäumen neben dem alten Ford stehen. Luke war zu weit von ihm entfernt, um es mit
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