Im Kreis des Wolfs
sie den Korken aus einer Flasche gezogen. Vor allem, wenn er auf seinen Vater zu sprechen kam. Kathy hatte Geschichten über die alten Zeiten schon immer gemocht, und sie stellte sich den alten Joshua Lovelace wie den Bärentöter aus
Jeremiah Johnson
vor. Wenn sie den Wolfsjäger zum Reden bringen wollte, brauchte es oft nur einen kleinen Anstoß, und damit versuchte sie es nun.
»Wissen Sie noch, wie Sie mir von diesem Ding erzählt haben, das Ihr Vater erfunden hat?«
»Die Wolfsschlinge, meinen Sie?«
»Die Wolfsschlinge, genau. Was hatte es damit eigentlich auf sich?«
Eine Weile rührte er schweigend in seinem Kaffee.
»Wollen Sie sie sehen?«
»Sie haben sie noch? Wirklich?«
»Nehme sie manchmal sogar noch.«
Er stand auf, trat an einen der Schränke, griff tief hinein und zog eine aufgerollte Drahtschlinge heraus, an der kleine, schlanke Metallkegel hingen. Er legte die Schlinge auf den Tisch, und nachdem er die beiden Lederbändchen aufgeknüpft hatte, von denen die Wolfsschlinge zusammengehalten wurde, rollte er den mehrere Meter langen Draht auf. Das Baby griff nach einem der Metallkegel.
»Nein, mein Schatz«, sagte Kathy. »Nicht anfassen.«
»Genau, nichts anfassen. Die kleinen Dinger sehen vielleicht wie Spielzeug aus, sind aber keins. Ich zeig’s dir, Kleiner.«
Auf dem Tisch lag noch ein Stück Brot. Er griff danach und schob es behutsam über eine der Kegelspitzen.
»Mein Vater hat immer gesagt, Hühnerfleisch ist am besten, und das nehme ich auch, wenn ich’s auftreiben kann. Aber eigentlich funktioniert es mit allen Fleischsorten. Stellen Sie sich also vor, dieses Brot hier ist ein Stück Fleisch. Jetzt legt man die Schlinge rings um die Wolfshöhle, gerade wenn die Welpen etwa drei Wochen alt sind und gerade raus in die Welt wollen. Und dann …«
Er zögerte, und Kathy, die seine Bewegungen verfolgt hatte, schaute in sein Gesicht und sah, wie er das Baby mit seltsamem Blick betrachtete. Buck junior starrte unverwandt zurück.
»Und dann …«
»Mr. Lovelace? Alles in Ordnung?«
Sein Blick wanderte zu Kathy, und er schaute sie an, als habe er keine Ahnung, wer sie sei oder was sie hier zu suchen habe. Dann sah er wieder auf seine Hände, und die schienen ihn daran zu erinnern, was er sagen wollte.
»Also. Der Welpe riecht den Köder. Und weil es das Kleine nicht besser weiß, nimmt es ihn ins Maul, das schmale Ende zuerst. Das ist wichtig, schließlich soll es den Köder erst mal ganz runterschlucken …«
Wieder schaute er das Baby an.
»Ganz runterschlucken?«, erinnerte ihn Kathy.
»Ganz runter … bis tief in die Kehle. Und dann, wenn es mit der Schnauze auf diese breite Seite beißt, genau hier …«
Er drückte leicht mit den Fingern zu; es knackte laut, und drei stachlige Haken schnellten wie kleine Enterhaken hervor, schossen durch das Brot und ließen es über den ganzen Tisch fliegen.
Buck junior fuhr erschreckt zusammen und begann zu weinen. Kathy nahm ihn in den Arm, aber er war einfach nicht zu beruhigen. Sie stand auf, drückte ihn an sich und klopfte ihm auf den Rücken, aber es half nichts.
»Tut mir leid, ich bringe ihn wohl besser rüber ins Haus.«
Der alte Mann sagte nichts. Er stand einfach nur da und starrte den Haken in seiner Hand an.
»Mr. Lovelace?«
Kathy überlegte, ob sie bleiben und sich vergewissern sollte, dass mit dem Alten alles in Ordnung war, doch das Geschrei des Kleinen wurde unerträglich. Sie ging zur Tür und drehte sich noch einmal um, um ihm eine gute Nacht zu wünschen, aber er schien sie nicht zu hören.
Ganz sicher würde sie es nie sagen können, da die Lampe in seinem Rücken stand und sein Gesicht halb im Schattenlag, doch als sie die Tür schloss, meinte Kathy auf der Wange des alten Wolfsjägers eine Träne gesehen zu haben.
Tief in der Nacht, als sie im Bett lag und das Baby neben ihr schlief, hörte sie, wie er das Schneemobil anließ. Sie trat ans Fenster und beobachtete, wie die Scheinwerfer über die obere Weide glitten und dann im Wald verschwanden.
In diesem Augenblick sah sie den Wolfsjäger zum letzten Mal.
Die Calders sorgten dafür, dass sie mit den zum ersten Mal trächtigen Rindern fertig waren, bevor die Hauptherde mit dem Kalben begann. Lukes Vater bildete sich beinahe ebenso viel auf seine guten Muttertiere wie auf seine guten Bullen ein. Aus den meisten Kühen flutschten die Kälber so glatt heraus wie Seife aus einer nassen Hand.
Doch gab es stets einige Tiere, die Hilfe brauchten. Die
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