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Im Kreis des Wolfs

Im Kreis des Wolfs

Titel: Im Kreis des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Evans
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Bestimmtheit sagen zu können, aber es kam ihm so vor, als erwidere das Pferd seinen Blick.
    Als er durch das Tor fuhr, sah er über die Schulter zur Ranch zurück. Sein Vater und Clyde trieben einige Färsen zum Stall. Clyde drehte sich um, blieb stehen und schaute ihm nach, doch sein Vater ging einfach weiter.
    Bevor er starb, wollte sich der alte Wolfsjäger noch entschuldigen, doch war niemand da, bei dem er sich hätte entschuldigen können.
    Winnie war der einzige Mensch, der ihn verstanden hatte, und Winnie war tot. Er fragte sich, wie lange sie schon über diesen »kleinen Funken«, wie sie ihn nannte, Bescheid gewusst und warum sie ihm vorher nichts davon gesagt hatte, doch ahnte er tief in seinem Innern, dass er ihr niemals zugehört hätte.
    Er spielte mit dem Gedanken, zur Hütte dieser Biologin zu fahren und sich zu entschuldigen, aber er kannte sie nicht und schämte sich zu sehr, ihr zu sagen, was er getan hatte. Außerdem musste er sich ja nicht allein bei ihr entschuldigen. Es ging um sein ganzes Leben. Also machte er sich direkt auf den Weg zur Mine. Dieser Platz war so gut wie jeder andere.
    Als er hier angekommen war, hatte sein Verstand verrückt gespielt; vielleicht, hatte er gedacht, vielleicht war der Welpedoch nicht tot, den er am Abend zuvor geschossen hatte, und vielleicht konnte er, wenn er nur den Eingang zur Mine fand, das Tier noch retten. Überall hatte er gesucht, ihn aber nicht gefunden, und schließlich war er wieder zur Vernunft gekommen.
    Jetzt saß er nackt mit dem Rücken an einen Baum gelehnt am Rand jener Lichtung, auf der sich der abgedeckte Luftschacht befand. Er hatte alle seine Kleider dort hinuntergeworfen und stellte sich vor, wie sie nun auf den Wölfen lagen. Seine welke Haut war fast so weiß wie der Schnee. Er sah die Sterne verblassen und einen nach dem anderen in der Morgendämmerung verschwinden.
    Er spürte, wie die Kälte seine Arme und Beine hinaufkroch, sich zu seinem Herzen stahl. Sein Atem wurde immer langsamer, sein Bart gefror.
    Ihm war so kalt, dass er die Kälte schon nicht mehr spürte. Ihn überkam eine seltsame Ruhe. Seine Gedanken begannen, ihm einen Streich zu spielen. Er glaubte, Winnie rufen zu hören, und er versuchte, ihr zu antworten, aber seine Stimme war eingefroren. Dann begriff er, dass er nur das Krächzen zweier Raben gehört hatte, die am lachsfarbenen Himmel über die Lichtung flatterten.
    Sein Leben lang hatte er mit dem Tod zu tun gehabt, und so empfand er keine Angst. Als der Tod schließlich zu ihm kam, da tat er es auf leisen Sohlen.
    In seinen Träumen sah er das Gesicht eines Babys, das ihn im Licht einer Kerze anstarrte. Vielleicht war es das Kind unten aus dem Haus, vielleicht aber auch das Kind, das er und Winnie nie gehabt hatten. Doch dann wusste der Wolfsjäger, dass er sein eigenes, jüngeres Ich betrachtete. Und im selben Augenblick beugte sich der Schatten seiner Mutter, die er nie gekannt hatte, zur Kerzenflamme hinab und blies sie behutsam aus.

FRÜHLING
    32
    Das zweite Tauwetter setzte sanfter ein als das erste. Kein warmer Wind ließ plötzlich den Schnee schmelzen, und der Hope River hatte sich offenbar ausgetobt und blieb jetzt, wild tosend zwar, in seinem Bett.
    Der Schnee war von den Ebenen verschwunden, die graubraun in der fahlen Sonne trockneten, und hatte sich jetzt, in der ersten Aprilwoche, wie eine verebbende Flut ins Tal zurückgezogen. Eine Weile hielt er sich noch an den Waldrändern und in den schattigen Senken und Rinnen der höher gelegenen Ranches. Die Bäume schienen dem Wetter noch nicht so recht zu trauen. Obwohl die sonnenbeschienenen Lichtungen im Wald knospten und sprossen, blieben die sich durchs Tal windenden Pyramidenpappelreihen noch einen weiteren Monat grau und blattlos.
    Das Leben, das im Leib der weißen Wölfin keimte, duldete keinerlei Verzögerung. Drei Wochen zuvor hatte sie eine verlassene Kojotenhöhle am Fuß einer Rodung gefunden, und die beiden überlebenden Welpen hatten ihr dabei zugesehen, wie sie stundenlang grub, bis die Höhle ihren Vorstellungen entsprach.
    Ihr Bauch war schwer geworden, und im schmelzenden Schnee wurde die Jagd immer mühseliger für sie. Die beiden Welpen waren nun ausgewachsene Jährlinge mit dem vollen Gewicht erwachsener Tiere, doch mangelte es ihnen noch an Gewitztheit und Lebenserfahrung. Sie hatten zwar so manche Jagd miterlebt, mussten aber noch nie allein ein Tier reißen.
    Und seit das Muttertier trächtig war, hatten sie selbst mit den vom

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