Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Kreis des Wolfs

Im Kreis des Wolfs

Titel: Im Kreis des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Evans
Vom Netzwerk:
gesagt?«
    »Von dem komm ich gerade. Hilfssheriff Rawlinson ist voller Mitgefühl. Er meint, das waren sicher Kids aus der Stadt, die im Wald eine Party gefeiert haben. Wenn ich mir Sorgen mache, sagt er, soll ich mir eben ein Gewehr zulegen.«
    Luke schüttelte den Kopf. Der Laster hatte sie fast erreicht.
    »Tja, dann«, sagte Helen, »bis später.«
    »Ich schaff ’s schon irgendwie, dich zu besuchen.«
    »Schon gut, Luke, vielleicht sollten wir uns wirklich eine Zeitlang nicht sehen.«
    Der Lastwagenfahrer drückte auf die Hupe. Sie verabschiedeten sich und fuhren in verschiedene Richtungen davon.
    Luke stand jetzt unten am Korralzaun und suchte mit der Taschenlampe nach der Färse, die er sich etwas genauer ansehen wollte.
    »Na, wie läuft’s?«
    Er drehte sich um. Hinter ihm stand Clyde, der die nächste Schicht übernahm.
    »Ganz gut, aber um eine Kuh mache ich mir ein bisschen Sorgen. Die ist irgendwie unruhig. Hat vielleicht eine v-v-verdrehte Gebärmutter, wer weiß?«
    Clyde bat ihn, ihm die Färse zu zeigen.
    »Ach was«, sagte er verächtlich. »Der fehlt gar nichts.«
    Luke zuckte die Achseln. Er erzählte Clyde noch von den Kojoten, ließ ihn dann stehen und ging zurück ins Haus, um vor Sonnenaufgang noch eine Stunde zu schlafen.
    Er verschlief. Als er geduscht und sich angezogen hatte, saßen die anderen bereits am Frühstückstisch in der Küche. Er merkte sofort, dass etwas passiert war. Es herrschte dicke Luft. Ray und Jesse aßen stumm, und sein Vater starrte wütend vor sich hin.
    Seine Mutter warf ihm einen warnenden Blick zu, als sie ihm Milch ins Glas goss. Eine Zeitlang sagte niemand ein Wort.
    »Und? Wieso hast du die Färse krepieren lassen?«, fragte ihn sein Vater schließlich.
    »W-W-Was?«
    »Komm mir nicht mit deinem W-W-Was, Junge.«
    »Welche Färse?«
    Er schaute Clyde an, aber der hielt den Blick auf seinen Teller gesenkt.
    »Clyde hat eine tote Färse im Korral gefunden. Hatte eine verdrehte Gebärmutter.«
    Luke starrte Clyde ungläubig an.
    »Aber d-d-die habe ich dir doch gezeigt.«
    Clyde schaute kurz auf, und Luke sah die Angst in seinen Augen.
    »Was?«
    »Ich hab dir die Färse gezeigt, und du hast gesagt, mit ihr ist alles in Ordnung.«
    »Verdammt, Luke, das hast du nicht getan!«
    »Hört auf, Jungs!« sagte Lukes Mutter. »Wir verlieren jedes Jahr ein, zwei Kühe …«
    Sein Vater unterbrach sie wütend. »Halt du dich da raus.«
    »Ich hab d-d-dir sogar gesagt, was mit ihr nicht stimmt. Und du hast gesagt, es ist alles in Ordnung.«
    »He, Kleiner, jetzt versuch nicht, mir die Geschichte anzuhängen.«
    Luke stand auf. Sein Stuhl scharrte über den Boden.
    »Wo willst du hin?«, fragte ihn sein Vater.
    »Mir r-r-reicht’s.«
    »Dir reicht’s also, ja? Aber mir reicht’s noch lange nicht, verstanden? Also setz dich gefälligst wieder hin!«
    Luke schüttelte den Kopf. »Nein, Sir.«
    »Du wirst dich verdammt noch mal wieder hinsetzen, wenn ich es dir sage.«
    »Nein, Sir.«
    Einen Augenblick lang schien sein Vater nicht zu wissen, was er tun sollte. Widerspruch war er nicht gewohnt. Ray und Jesse standen auf und gingen mit gesenktem Blick leise aus dem Zimmer.
    »Du rührst dich nicht vom Fleck, bis ich mit dir fertig bin. Deine Mutter hat mir gesagt, du willst nach Minnesota aufs College, stimmt das?«
    Lukes Mutter stand auf. »Um Himmels willen, Buck, nicht jetzt …«
    »Halt den Mund. Willst wohl studierter Tierschützer werden, was?«
    »Nein, B-B-Biologe.«
    »Also doch. Und du denkst nicht mal dran, deinen Vater zu fragen, was er davon hält?«
    Luke spürte, wie seine Beine zitterten, doch nicht vor Angst. Zum ersten Mal in seinem Leben fürchtete er sich nicht vor diesem großen Bullengesicht, das ihn über den Tisch hinweg anglotzte. Er fühlte nichts als Wut. Es wirkte beinahe belebend.
    »Hat’s dir die Sprache verschlagen?«
    Luke schaute seine Mutter an. Sie stand am Waschbecken und kämpfte mit aller Kraft gegen die Tränen. Dann drehte er sich wieder zu seinem Vater um.
Hat’s dir die Sprache verschlagen?
Er holte tief Luft, spürte erstaunliche Ruhe in seiner Brust aufsteigen. Er schüttelte den Kopf.
    »Nein«, sagte er einfach.
    »Dann solltest du mir lieber erklären, was hier los ist.«
    »I-I-Ich …«
    Sein Vater lächelte zufrieden.
    Dies war der Augenblick, auf den er lange gewartet hatte. Endlich würde er frei sein. Noch einmal holte er tief Luft.
    »Ich habe nicht gedacht, dass es dich interessiert.«
    »Ach, was du nicht sagst.«

Weitere Kostenlose Bücher