Im Kreis des Wolfs
damit aufzuhören. Sei nett, verdammt noch mal, sei einfach nur nett.
»Wenn ihr zahlt, komme ich.« Sie strahlte die beiden an und fuhr dann fort: »Nein, ernsthaft, ich würde gern kommen. Und ich freue mich wirklich für euch beide.«
Courtney schien gerührt. Sie lächelte, und Tränen traten ihr in die Augen. Wahrscheinlich war sie gar nicht so übel, dachte Helen, obwohl ihr schleierhaft war, wieso sie einen Mann heiraten wollte, der mehr als doppelt so alt war wie sie. Herrgott, der Kerl war doch nicht mal reich.
Courtney sagte: »Ich weiß, Stiefmütter sollen angeblich so wie die böse Königin in
Schneewittchen
sein …«
»Stimmt!« unterbrach Helen sie, »aber mit den Jahren wirst du schon noch in deine Rolle hineinwachsen, ich meine, die passenden Fingernägel hast du ja schon.« Sie platzte vor Lachen; Courtney lächelte unsicher. Helen schenkte sich den letzten Rest Champagner ein und spürte den Blick ihres Vaters. Er war mit Courtney bereits zu Mineralwasser übergegangen. Tollpatsch, Vielfraß, warum also nicht auch besoffenes Miststück?
»Du bist Biologin?«, fragte Courtney. Mein Gott, sie gab sich wirklich Mühe.,
»Ich wasche Geschirr. Jedenfalls habe ich das getan, bis ich letzte Woche gekündigt habe. Technisch gesehen bin ich also gerade zwischen zwei Jobs, wie man so sagt.«
»Noch zu haben?«
»Das auch.«
»Und du wohnst immer noch oben in Cape Cod?«
»Sicher. Gestrandet am Kap. Ein Ort so gut wie jeder andere, um an Land gespült zu werden.«
»Warum stellst du dein Licht bloß immer so unter den Scheffel?«, fragte ihr Vater und wandte sich dann an Courtney. »Sie ist eine erstklassige Spezialistin für Wölfe. Und mit der Doktorarbeit, an der sie gerade sitzt, betritt sie absolutes Neuland.«
»Nun übertreib mal nicht!«, sagte Helen.
»Stimmt doch. Hat dein Professor jedenfalls behauptet.«
»Der hat doch keine Ahnung. Außerdem war das vor drei Jahren. Mittlerweile hat sich die ganze Spezies wahrscheinlich in baumbewohnende Blattfresser verwandelt.«
»Helen hat in Minnesota einige Jahre unter ihnen gelebt.«
»›Unter ihnen gelebt‹. Dad, das klingt, als wäre ich Mogli oder so jemand.«
»Aber das hast du doch getan …«
»Ich habe nicht hinter ihnen gelebt. Man bekommt diese verdammten Biester schließlich kaum je zu Gesicht. Ich habe Forschungen angestellt, das ist alles.«
Aber eigentlich hatte ihr Vater gar nicht so unrecht. Ob sie mit ihrer Arbeit wirklich absolutes Neuland betrat, mochte dahingestellt sein, jedenfalls war sie eine der gründlichsten Studien darüber, warum manche Wölfe Vieh rissen, andere jedoch nicht. Es ging um die jahrhundertealte Auseinandersetzung: Angeboren oder anerzogen – eine Frage, die Helen schon immer fasziniert hatte; und alles deutete darauf hin, dass den Wölfen das Reißen von Vieh eher angelernt worden als angeboren war.
Helen würde jedoch den Teufel tun und den Unterhalterspielen, indem sie Courtney davon erzählte, die jetzt ihr hübsches Kinn in die Hand stützte und sich Mühe gab, interessiert auszusehen.
»Erzähl mal, wie war das. Ich meine, was hast du da gemacht?«
Helen leerte ihr Glas, ehe sie fast beiläufig antwortete.
»Ach, man läuft ihnen einfach hinterher, folgt ihren Spuren, stellt ihnen Fallen, bindet ihnen ein Halsband um und findet heraus, was sie so fressen.«
»Wie denn?«
»Vor allem, indem man ihre Scheiße untersucht.«
Eine Frau am Nachbartisch warf ihr einen tadelnden Blick zu. Helen lächelte freundlich zurück und fuhr noch lauter fort:
»Man hebt jedes Stück Scheiße auf, das man finden kann, stochert darin herum, sucht nach Fellfetzen, Knochen und dergleichen und analysiert dann, woher es stammt. Wenn sie gerade Wild gerissen haben, ist die Scheiße ganz schwarz und flüssig, weshalb sie sich ziemlich schlecht handhaben lässt. Und weißt du, sie stinkt grauenhaft. Mein Gott, diese Wolfsscheiße, die stinkt vielleicht! Wenn sie eine Weile nicht gefressen haben, ist es leichter, dann sind die Köttel etwas fester. Man kann sie dann besser mit der Hand aufheben, verstehst du?«
Courtney nickte weise. Helen musste ihr zugute halten, dass sie nicht ein einziges Mal zusammengezuckt war. Doch sie wusste, dass ihr Vater sie wieder gekränkt anschaute, und ermahnte sich deshalb, nicht mehr so kindisch zu sein. Sie hatte viel zuviel getrunken.
»Genug von der Scheiße«, sagte sie. »Warum erzählst du mir nicht was von deiner Scheiße, Courtney? Du bist Bankerin,
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