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Im Kreis des Wolfs

Im Kreis des Wolfs

Titel: Im Kreis des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Evans
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stimmt’s?«
    »Tja, stimmt.«
    »Dann hast du also Geld?«
    Courtney lächelte sie offen an. Sie hatte Klasse, diese Frau.
    »Leider nur das von anderen Leuten.«
    »Und Psychologin bist du auch?«
    »Aber ich habe nie praktiziert.«
    »Praxis macht perfekt, und du machst mir einen ziemlich perfekten Eindruck.«
    »Helen …« Ihr Vater legte eine Hand auf ihren Arm.
    »Was ist?« Helen schaute ihn mit unschuldigem Blick an.
    Er wollte etwas sagen, doch dann verzog er das Gesicht nur zu einem kleinen traurigen Lächeln. »Wer möchte noch Nachtisch?«
    Courtney sagte, sie müsse zur Toilette, obwohl Helen sich angesichts dessen, was sie gegessen hatte, kaum vorstellen konnte, was sie dort zu suchen hatte, falls sie sich nicht gerade ihre Fingernägel feilen wollte. Kaum war sie außer Hörweite, fragte ihr Vater: »Was ist los mit dir, Kleines?«
    »Wie meinst du das?«
    »Weißt du, kein Gesetz der Welt verlangt von dir, dass du sie hasst.«
    »Sie hassen? Was um Himmels willen meinst du damit?«
    Er wandte seufzend den Blick ab. Helen spürte plötzlich, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Sie legte ihrem Vater die Hand auf den Arm.
    »Es tut mir leid«, sagte sie.
    Er griff nach ihrer Hand, hielt sie fest umschlossen und musterte sie mit sorgenvollem Blick.
    »Geht es dir gut?«, fragte er.
    Sie schniefte und hielt die Tränen zurück. Herrgott, sie konnte in diesem Laden doch nicht noch eine Szene machen.
    »Ja, prima.«
    »Ich mache mir Sorgen um dich.«
    »Dazu gibt es keinen Grund, mir geht es gut.«
    »Hast du von Joel gehört?«
    Sie hatte gehofft, dass er nicht nach ihm fragen würde. Jetzt musste sie bestimmt gleich heulen. Sie nickte, traute im Augenblick ihrer Stimme nicht, holte tief Luft und sagte dann: »Ja, er hat mir geschrieben.«
    Nein, sie würde nicht weinen. Joel war mehrere tausend Meilen weit fort, und außerdem war es mit ihnen sowieso vorbei. Und da erschien auch schon die gute alte Courtney wieder, kam mit energischen Schritten auf ihren Tisch zu und lächelte mit frisch nachgezogenen Lippen. Helen beschloss, ihr eine Schonfrist zu gewähren. Sie war schließlich gar nicht so übel. Sie schien nicht zimperlich und ziemlich selbstbewusst zu sein, was Helen ganz gut gefiel.
    Wer weiß, dachte sie, vielleicht werden wir eines Tages doch noch Freundinnen.

6
    Helen flog noch am selben Abend nach Boston zurück. Eigentlich hatte sie übers Wochenende bei Freunden in New York bleiben wollen, doch sie rief vom Flughafen an, unter dem Vorwand, dass sie zurück nach Hause müsse. Dabei wollte sie bloß dieser drückenden Hitze und dem Lärm von Manhattan entkommen.
    Die zweite Hälfte ihres Treffens war besser verlaufen. Ihr Vater hatte ihr eine schöne, zusammen mit Courtney ausgesuchte italienische Lederhandtasche geschenkt. Von Courtney erhielt sie ein Fläschchen Parfüm, außerdem war sie beträchtlich in Helens Ansehen gestiegen, als sie sich ein riesiges Stück Schokoladentorte zum Nachtisch bestellte.
    Zur Freude ihres Vaters gaben sich die beiden Frauen zumAbschied einen Kuss, und Helen sagte fest zu, nach Barbados zur Hochzeit zu kommen, weigerte sich aber, Trauzeugin zu sein. Daran sei nicht mal im Traum zu denken, sagte sie.
    Es war schon gegen zehn, als sie von Boston kommend auf die Route Six einbog, die sie das Kap hinauf bis nach Wellfleet bringen würde.
    In ihrer Eile, New York den Rücken zu kehren, hatte sie vergessen, dass Freitagabend war und sie daher auf den Straßen nur langsam vorankam. Die meiste Zeit rollte sie Stoßstange an Stoßstange mit Wochenendausflüglern und Touristen dahin, deren Autodächer mit Fahrrädern, Booten und Surfbrettern beladen waren. Helen sehnte sich nach dem Herbst, wenn es auf dem Kap wieder einsamer werden würde, oder gar nach dem Winter, wenn der Sturm tosend über die Bucht fegte und man Meile um Meile den Strand entlanglaufen konnte, ohne einem Menschen zu begegnen.
    Seit zwei Jahren wohnte sie in einem Mietshaus nahe der Bucht, etwa eine Meile südlich vom Dorf Wellfleet. In Gedanken war es für sie immer noch Joels Haus. Um dort hinzugelangen, musste man vom Highway herunter, durch ein Labyrinth von engen, baumgesäumten Straßen und dann einen steilen Sandweg hinabfahren, der direkt ans Wasser führte.
    Als Helen endlich den Verkehr hinter sich lassen konnte und durch die Wälder fuhr, stellte sie die Klimaanlage des uralten Volvo-Kombi ab, kurbelte das Fenster herunter und atmete tief die warme Waldluft ein. Wahrscheinlich war

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