Im Kreis des Wolfs
leidenschaftliches Interesse für Wölfe entwickelte. Mit ihrer gegenseitigen Hingabe, ihrer Treueund der Art, wie sie für ihre Jungen sorgten, waren sie den Menschen, wie sie glaubte, in nahezu jeder Hinsicht überlegen.
Die vergangenen zehn Jahre hatten ihre Gefühle, was diese Scheidung betraf, zwar nicht gerade abgeschwächt, doch gesellten sich ihnen nun all die eigenen Zweifel und Enttäuschungen hinzu, die sich inzwischen in ihrem Leben angesammelt hatten. Und außer an jenen wenigen trostlosen Tagen, an denen ein rauer Wind über die Welt hinwegzufegen schien, war sie froh, dass ihre Eltern endlich ihr Glück gefunden hatten.
Ihre Mutter hatte unmittelbar nach der Scheidung wieder geheiratet und führte nun ein Leben, das sich um Golfspielen, Bridgepartys und offenbar atemberaubenden Sex mit einem kleinen, glatzköpfigen, doch überaus aufmerksamen Makler namens Ralphie drehte.
Wie sich herausstellte, war Ralphie seit sechs Jahren ihr »Anderer« gewesen, die »Andere« ihres Vaters hingegen blieb keine sechs Monate und wurde im Lauf der Zeit von einer Reihe »Anderer« abgelöst, die mit den Jahren immer jünger wurden. Seine Arbeit als Finanzberater (was damit genau gemeint war, hatte Helen nie herausgefunden) führte ihn von Chicago über Cincinnati nach Houston und hatte ihn im letzten Jahr nach New York City verschlagen, wo er im Sommer Courtney Dasilva kennenlernte.
Und dies war ein weiterer Grund dafür, dass Helen heute alles andere als gute Laune hatte. Denn Howard hatte vor, Courtney Dasilva an Weihnachten zu heiraten, und heute war der Tag, an dem er sie Helen vorstellen wollte.
Ihre zukünftige Stiefmutter, so hatte ihr Vater berichtet, als er ihr letzte Woche die Neuigkeit per Telefon verkündete, arbeite für eine der größten Banken Amerikas. Außerdem habe sie in Stanford einen Abschluss in Psychologiegemacht und sei das absolut umwerfendste weibliche Wesen, das ihm je unter die Augen gekommen sei.
»Das ist ja wunderbar, Daddy. Ich freue mich für dich«, hatte Helen gesagt und versucht, es auch ehrlich zu meinen.
»Nicht wahr? O Gott, ich fühle mich so … ach, so
lebendig.
Und ich freue mich schon auf den Augenblick, wenn ihr beide euch kennenlernt. Du wirst sie bestimmt phantastisch finden.«
»Ich mich auch. Ich meine, ich freue mich auch, sie zu sehen.«
»Ist es in Ordnung, wenn ich sie zum Essen mitbringe?«
»Natürlich! Das wäre … einfach toll.«
Es folgte ein kurzes Schweigen, und dann hörte sie, wie er sich räusperte.
»Da ist noch etwas, Helen, was ich dir sagen muss.« Seine Stimme klang plötzlich verschwörerisch, fast ein wenig zögerlich.
»Sie ist fünfundzwanzig.«
Und da kam sie, noch einen Häuserblock entfernt. Sie hatte sich bei ihrem Vater untergehakt, und ihre üppige schwarze Mähne wehte im Wind und glänzte wie Ebenholz in der Sonne. Sie redete und lachte zugleich, eine Fähigkeit, die Helen nie besessen hatte, während ihr Dad wie ein König strahlte. Er schien fast fünfzehn Kilo abgenommen zu haben, und sein Haar sah irgendwie anders aus, kürzer. Courtney trug ein schlichtes, schwarzes, sicher wahnsinnig teures Leinenkleid mit breitem rotem Gürtel. Ihre hochhackigen Sandalen waren ebenfalls rot und ließen sie größer als ihren etwa eins siebenundsiebzig großen Dad aussehen. Die Farbe ihrer Lippen passte zu Gürtel und Schuhen.
Helen trug ebenfalls ein Kleid, ihr bestes sogar: ein lehmfarbenes Baumwollkleid, das sie vor zwei Jahren in TheGap gekauft hatte. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie sich unter dem Tisch verstecken sollte.
Ihr Vater sah sie, winkte, machte Courtney auf sie aufmerksam, und Courtney winkte ebenfalls. Helen drückte rasch ihre Zigarette aus, und als die beiden sich der staubigen Hecke der
terrazzo
näherten, stand sie auf, beugte sich über die Hecke, um ihren Dad zu umarmen, stieß dabei an den Tisch und kippte die Weinflasche um, deren Inhalt sich über ihr Kleid ergoß, ehe sie vom Tisch fiel und am Boden zerbrach.
»Olala!«, rief ihr Vater.
Wie ein Tornado schoss ein Kellner zu ihrer Rettung herbei.
»O je, tut mir leid«, jammerte Helen. »Ich bin so ungeschickt.«
»Ach was, sind Sie nicht«, erwiderte Courtney, und Helen hätte sie beinahe angefaucht: Was zum Teufel weißt du denn schon? Ich bin so ungeschickt, wie ich will.
Ihr Vater und Courtney mussten durch das Restaurant gehen, um auf die
terrazzo
zu gelangen, so dass Helen einige Augenblicke blieben, in denen sich der Kellner ein wenig zu
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