Im Kreis des Wolfs
Strand wieder die Sanderlinge sehen, wie sie unermüdlich mit den Wellen Fangen spielten. Doch im Haus selbst herrschte Winter. Sie waren ungeschickt geworden, rempelten sich in der engen Küche an, wo sie doch früher die Bewegungen des anderen wie Tänzer vorausgeahnt hatten. Sie gingen distanziert höflich miteinander um. So versuchte Joel seine Schuldgefühle zu ersticken, und sie ihre Wut.
Die Vernunft sagte ihr, sie habe keinen Grund, wütend zu sein. Mein Gott, schließlich waren sie nicht verheiratet, hatten nicht einmal über eine Heirat gesprochen. Warum sollte er nicht losziehen und etwas »Sinnvolles« mit seinem Leben anfangen? Das war doch in Ordnung, mehr noch, es war sogar lobenswert. Ihn zog es eben hinaus. Es lag in seiner Natur, war ihm »angeboren«.
Dann kam die Wut, und mit der Wut kroch das vertraute alte Gefühl in ihr auf, dass sie wieder einmal versagt hatte. Aber diesmal war es schlimmer, denn diesem Mann hatte sie nicht nur gefallen wollen, sondern ihm auch jeden Winkel ihrer Seele geöffnet. Es gab nichts, was er nicht kannte, nichts, womit sie sich trösten konnte. Hätte er nicht alles von ihr gewusst, wäre er bestimmt nie fortgegangen.
Sie hatte ihm alles gegeben, und es hatte nicht gereicht.
Im Mai, wenn das Wasser am Cape warm wird, kehren die Teufelskrabben in Scharen aus ihren tief gelegenen Winterquartieren zurück. Und wenn Sonne und Mond zusammenwirken und die Flut den höchsten Stand des Jahres erreicht, schwärmen sie zur Paarung ins flache Wasser aus.
Vor zwei Jahren hatte Joel um diese Zeit mehrere hundert Krabben mit einem rostfreien Clip gekennzeichnet, den er ihnen hinten auf den Panzer geheftet hatte, um so herauszufinden, wie viele von ihnen wieder zurückkamen. Undvierzehn Tage bevor er nach Afrika flog, wollte er diese Prozedur ein letztes Mal wiederholen.
Vorsichtig – denn so war es inzwischen um sie bestellt – fragte er Helen, ob sie mitkommen und ihm wie im letzten Jahr helfen wollte. Um ihm zu zeigen, wie wenig (oder wieviel) ihr seine Abreise zu schaffen machte, hatte sie eine Stelle als Küchenhilfe im Moby Dick angenommen, einem Restaurant am Highway. Doch heute war ihr freier Abend. Okay, sagte sie, wenn er ihre Hilfe benötige, dann wolle sie ihn begleiten.
Es war ein kühler, wolkenloser Abend, und nur die hellsten Sterne konnten sich gegen das Licht des Vollmonds behaupten, den ein Ring schattenhaften Nebels umgab. Später sollte Helen erfahren, dass manche Menschen diesen Ring für ein böses Omen halten.
Sie packten Werkzeug und Clips in zwei große Rucksäcke, ließen Buzz im Haus und folgten in Gummistiefeln dem Sandstreifen, der das Ufer der Meeresbucht säumte. Der Sand leuchtete fahl wie Knochenstaub, und obwohl sie einige Schritte voneinander Abstand hielten, ließ der Mond ihre Schatten verschmelzen.
Schon von weitem konnten sie sehen, dass die Krabben gekommen waren. Das Wasser am Uferrand schien zu kochen, und beim Näherkommen erkannten sie, dass sich Aberhunderte halbkugelförmiger und mit Entenmuscheln übersäter Panzer im seichten Wasser drängten.
Helen wusste noch vom letzten Jahr, was zu tun war. Wortlos holten sie aus ihren Rucksäcken, was sie brauchten, und machten sich an die Arbeit. Joel watete zwischen den Krabben umher und zog sich ein Paar reißfeste Gummihandschuhe an. Sorgsam hob er eine Krabbe nach der anderen auf und hielt sie ins Licht der Taschenlampe, die um seinen Hals hing. Die Krabben zappelten und wehrten sich,und der bewegliche hintere Teil des Panzers zuckte hin und her, während die Krabben versuchten, ihn mit dem messerscharfen Stachelschwanz zu treffen. Sobald er eine Krabbe mit Clip fand, rief er die Nummer Helen zu, die sie dann in eine Liste eintrug. Waren sie nicht gekennzeichnet, nannte er Geschlecht und Größe, und sie trug pflichtschuldigst die Angaben ein und reichte ihm einen Clip für den Krabbenpanzer.
Zwischendurch erklärte Joel ihr den einen oder anderen Vorgang: dass etwa die Männchen, manchmal ein Dutzend gleichzeitig, gegeneinander um ein einziges Weibchen kämpften, aber nur einer von ihnen Erfolg haben würde. Er richtete den Strahl der Taschenlampe auf ein Weibchen. Es hatte sich ein flaches Nest in den Sand gegraben, so nahe am Wasser, wie sie es nur wagte. Man konnte sehen, wie die Eier zu Tausenden aus ihr herausströmten, glänzende, graugrüne Häufchen, während das an sie geklammerte Männchen seinen Samen darüber verspritzte und andere Männchen darum kämpften, es ihm
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