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Im Kreis des Wolfs

Im Kreis des Wolfs

Titel: Im Kreis des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Evans
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keine getrennten Wesen mehr. Von derlei Dingen hatte sie zwar in Büchern gelesen, aber nie geglaubt, dass es so etwas in Wirklichkeit gab. Häufig kannten sie die Gedanken des anderen, ohne sie auszusprechen. Sie konnten sich eine ganze Nacht unterhalten oder einen ganzen Tag in gemeinsamer Stille verbringen.
    Wenn man sie nach ihrer Arbeit fragte, wich sie meist mit einem Scherz aus, tat die Frage ab und wechselte das Thema, indem sie selbst Fragen stellte. Wer konnte sich schon für das interessieren, was sie tat? Doch mit Joel war es anders. Ihn konnte man nicht ablenken. Sie stellte fest, dass sie ihm mehr als je einem Menschen zuvor von ihrer Arbeit erzählte, und er machte ihr klar, dass ihr Professor recht hatte: Sie war gut, sie war brillant.
    Als er ihr das erste Mal sagte, dass er sie liebe, wusste sie nicht, wie sie reagieren sollte. Sie murmelte nur irgendwas, küsste ihn – und der Augenblick ging vorüber. Sie schaffte es nicht, ihm mit den gleichen Worten zu antworten, obwohl sie es gern getan hätte. Vielleicht gehörte er zu jenen Männern, die das allen Frauen sagten, mit denen sie schliefen. Aber das war es nicht allein. Diese Worte hörten sich so erschreckend endgültig an.
    Doch als der Herbst in den Winter überging, die Touristen vom Cape und die großen Schwärme der Zugvögel vom Himmel verschwanden, gelangte Helen zu einer gewissen Klarheit.
    Frei von Zweifeln und Unsicherheit lernte sie zu akzeptieren, was sie und Joel gefunden hatten. Er liebte sie, also musste sie liebenswert sein. Er sagte ihr, dass sie schön war, und zum ersten Mal in ihrem Leben fand sie sich schön. Und da er es sicherlich längst wusste, konnte sie ihm auch sagen, dass sie ihn liebte. Und sie tat es.
    Sie stellten den langen Tisch aus der Küche vor das große Erkerfenster im Wohnzimmer und funktionierten ihn zu einem Arbeitstisch um, mit Laptops und Stapel von Papieren. Doch sie arbeiteten nur selten. Sie redeten einfach oder starrten hinaus in den Wind, der die grauen Wellen peitschte und Gischt aufwarf. Im Zimmer stand ein Holzofen, den sie ständig brennen ließen, und auf der Suche nach Strandholz unternahmen sie mit Buzz jeden Tag lange Spaziergänge am Wasser.
    Joel wusste mit Tieren umzugehen, und der bis dahin ungebärdige Buzz war bald sein ergebener Sklave, der auf Kommando Platz machte oder loslief und Stöckchen holte, die Joel weit in die Brandung warf. Helen sah mit Entsetzen, wie der arme Hund in den Wellen hin und her geschleudert und unter Wasser gezogen wurde. Sie war überzeugt davon, dass er ertrinken würde. Doch Joel lachte nur. Und bald tauchte auch schon Buzz’ zotteliger Kopf auf, im Maul den Stock, den er wundersamerweise stets wiederfand, Joel zurückbrachte und vor die Füße legte, damit dieser ihn wieder ins Wasser warf.
    Joel hatte gerade die Oper für sich entdeckt, und Helen, die diese Musik immer zu hassen vorgegeben hatte, stöhnte, wenn er eine CD auflegte, besonders dann, wenn er auch noch mitsang. Doch dann ertappte er sie eines Tages dabei, wie sie selbst eine Melodie aus
Tosca
summte, und sie musste zugeben, dass manches daraus doch ganz erträglich war, wenn auch nicht so gut wie Sheryl Crow.
    Es gab ein Bücherregal im Zimmer, das die Vermieter unerklärlicherweise mit verstaubten russischen Klassikern vollgestellt hatten, Bücher, die Joel eigentlich immer schon lesen wollte, für die er aber nie die Zeit gefunden hatte. Er fing mit Dostojewski an und arbeitete sich dann schnell zu Pasternak, Tolstoi und Tschechow vor, der ihm am besten gefiel.
    Außerdem kochte er gern, und wenn er abends in der Küche stand, beschrieb er ihr, was er gelesen hatte, während sie lächelnd dasaß und ihm beim Arbeiten zuschaute. Sie aßen am Kaminfeuer, kuschelten hinterher auf dem Sofa, lasen oder erzählten sich von Orten, die sie kannten oder kennenlernen wollten.
    Er erzählte ihr, dass sein Vater früher alle Kinder zum Krabbenfang mitgenommen hatte. Sie waren in die Bucht hinausgerudert, hatten die Reusen versenkt, waren zurückgefahren und hatten am Strand ein Feuer gemacht. Dann waren sie wieder zu den Reusen gerudert und hatten sie einfach ins Boot geleert.
    »Es war nur ein kleines Ruderboot, und wir hatten nur unser Badezeug an, keine Schuhe oder Sandalen. Und diese Krabben und Krebse wuselten im Dunkeln auf dem Boden herum und krabbelten über unsere Füße. Gott, haben wir gekreischt.«
    Sie lauschte gern seinen Geschichten. Später liebten sie sich, während draußen die

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