Im Kreis des Wolfs
ein wenig. Dan gab der Motorhaube einen liebevollen Klaps, und der Seitenspiegel fiel herunter. Helen lachte.
»Ist der für mich?«
Dan bückte sich, hob den Spiegel auf und gab ihn ihr.
»Bis auf die letzte Schraube. Er gehört dir, das muss er sogar, denn alle Bundesfahrzeuge müssen ein US-Fabrikat sein, und mir steht sonst keins mehr zur Verfügung. Ich kann dir nur Kilometergeld erstatten. Einunddreißig Cents pro Kilometer.«
»Wahnsinn, Prior, du weißt, wie man eine Frau verwöhnt.«
Sie fuhr. Dieses Gefährt zu steuern glich einem Tanz auf Rollschuhen, man musste jede Kurve rechtzeitig im Voraus berechnen, wollte man sie heil überstehen. Doch Helen hatte bald den Trick heraus, ließ sich von Dan aus der Stadt lotsen und fuhr in Richtung Berge.
Sie hatten den ganzen Nachmittag miteinander geredet, und so tat es gut, eine Weile zu schweigen. Es wurde kühler, und der Wind ließ nach. Zu beiden Seiten der Straße erstreckten sich, so weit das Auge reichte, blassgoldene Stoppelfelder, übersät mit Heuballen, die sie an riesige runde Karamellbonbons erinnerten.
Himmel und Erde schienen Helen grenzenlos zu sein, weite Flächen in kühnem Pinselstrich. Die Straßen verliefen schnurgerade auf von fern sichtbare Ranchhäuser zu. Sie war aufgeregt und unsicher zugleich und hatte irgendwie das Gefühl, hier fehl am Platz zu sein. Sie dachte an Joel, wie sie es immer noch dutzendmal am Tag tat, und fragte sich, ob er in seiner neuen Welt Fuß gefasst hatte oder ob er sich so fühlte wie sie, ohne Halt; ein Beobachter, der dazugehören wollte, aber es irgendwie nicht schaffte.
Als die Berge näher kamen, wurde das Land vor ihnen zu einer öden Fläche, durchsetzt mit Felsen und unregelmäßig durchzogen von Bachläufen, in denen Büsche wuchsen. Und als sie über eine Hügelkuppe fuhren, sah Helen im Süden eine Reihe Pyramidenpappeln, durch deren Laub sie das Glitzern von Wasser zu erkennen glaubte.
»Das ist der Hope River«, sagte Dan.
Plötzlich ertönte hinter ihnen eine Hupe, so dass sie beide erschreckt zusammenfuhren. Während sie auf den Fluss schaute, hatte Helen das Lenken vergessen und sah jetzt im Spiegel unmittelbar hinter sich einen schwarzen Laster. Sieriss das Steuer so hart nach rechts, dass der Wagen einen Satz machte und kurz über den Seitenstreifen schlitterte. Rasch gewann sie die Kontrolle wieder und kniff die Augen zusammen, sah aber nicht zu Dan hinüber.
»Ein dummer Spruch über Frauen und Autofahren, und du bist tot.«
»Ich habe noch keine Frau besser fahren sehen.«
»Du bist tot.«
Der schwarze Laster setzte zum Überholen an. Als er auf gleicher Höhe war, drehte sich Helen zum Fenster und schenkte den beiden undurchdringlichen Cowboygesichtern zur Entschuldigung ihr schönstes Lächeln. Die beiden Kerle mochten Anfang zwanzig sein, hatten aber etwas an sich, das sie viel älter erscheinen ließ. Dan winkte ihnen freundlich zu.
Der Typ auf dem Beifahrersitz tippte mit der Hand an seinen Hutrand und schien fast zu lächeln, während der Fahrer nur den Kopf schüttelte und weiterfuhr; der Hund, der windzerzaust auf dem Rücksitz hockte, schien seine Verachtung zu teilen. Kaum waren sie vorbei, drehte sich der Mann auf dem Beifahrersitz um und warf ihnen durch die Gewehrhalterung vor dem Rückfenster der Fahrerkabine einen Blick zu.
»Kennst du die?«
Dan nickte. »Das sind die Jungs von Abe Harding. Sie haben eine kleine Ranch oben bei den Calders. Ihr werdet Nachbarn sein.«
Helen schaute ihn an und sah, wie er grinste.
»Meinst du das ernst?«
»Ich fürchte, ja.«
»O je, das fängt ja gut an.«
»Keine Angst, deine Fahrkünste sind nicht das Problem. Siehst du den Aufkleber?«
Sie musste sich vorbeugen und die Augen zusammenkneifen, da der Laster schon weit vor ihnen fuhr; aber der rot durchkreuzte Wolfskopf war noch zu erkennen, und darunter standen die Worte: »Keine Wölfe. Niemals. Nirgendwo.«
»Na, prima.«
»Ach was, sie werden dir bestimmt bald aus der Hand fressen.«
Die Straße folgte den Windungen des Flusses, bis Helen nach etwa vier Meilen eine weiße Kirche auf einem niedrigen Hügel entdeckte, und gleich darauf ragten auch schon andere Gebäude über den Bäumen auf. Eine enge, von einem Geländer geschützte Brücke führte über den Fluss. Daneben stand ein Schild mit der Aufschrift »Hope (519 Einwohner)«, und hinter diese Worte hatte ein unbekannter Spaßvogel drei saubere Löcher durch das Schild geschossen. So blieben die Stadt und ihre
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