Im Kreis des Wolfs
dann prompt am Strychnin, das die Wölfe verschlungen hatten, starben. Doch zur Erinnerung an ihr tapferes Tagwerk sammelten die Wolfsjäger alle Knochen ein und legten damit das Fundament für einen Weg. Dann nahmen sie die Schädel, kochten sie, bis sie ganz sauber und weiß waren, und pflastertenmit ihnen überaus kunstfertig ihren Pfad, dem von diesem Tag an der Schädel eines jeden getöteten Wolfs hinzugefügt wurde.
An klaren Abenden, wenn der Schnee geschmolzen war, konnte man den Weg schon von den Bergen aus im fahlen Mondlicht schimmern sehen.
Schließlich war der Schädelweg mehr als eine halbe Meile lang und führte dorthin, wo jene wohnten, die nach den Wolfsjägern kamen, weil sie reinere Luft oder angenehmere Gesellschaft suchten.
Inzwischen war im Tal das Muhen von Kühen zu hören, und die Stadt wuchs mit jeder neu eintreffenden Herde und versorgte die Rancher mit allem Nötigen. Schmied, Friseur, Hotelbesitzer und Hure – jegliches Gewerbe gedieh auf seine Art.
Und am anderen Ende des Schädelwegs taten es ihnen Hopes Wolfsjäger gleich, deren tägliches Treiben nun von einer hübschen weißen Kirche auf einem eigenen Kalvarienberg überblickt wurde.
Aber schon bevor die Kirche erbaut wurde, hatte es den Wolfsjägern dank eines selbsternannten Predigers und ehemaligen Indianerkämpfers namens Josiah King – unter seinen Anhängern besser bekannt als Reverend Lobo – nicht an seelischer Führung gemangelt.
Je nach Wetter und der Menge Whiskey, die er am Abend zuvor genossen hatte, predigte Josiah sonntagmorgens den Gläubigen, dass der Wolf nicht einfach nur ein Raubtier, sondern der Inbegriff alles Bösen ist. Und er rief mit solch fanatischem Eifer zu seiner Ausrottung auf, dass die Wolfsjäger von Hope sich als moderne Kreuzritter fühlten, die die Wildnis von dieser heidnischen Bestie befreien und sie mit heiligem Zorn vernichten wollten.
Das Werk des Herrn bringt gerechten Lohn. Die Wolfsjagdmachte sich bezahlt wie nie zuvor. Vom Staat war eine Belohnung von einem Dollar auf jeden getöteten Wolf ausgesetzt, und die Rancher, deren Hass auf dieses Tier von keinem Priester geschürt werden musste, legten noch einen obendrauf. Denn seit der Büffel verschwunden und Rotwild und Elch selten geworden waren, hatten die Wölfe Geschmack am Rindfleisch gefunden. Außerdem waren Kühe langsamer und dümmer und folglich auch leichter zu erlegen.
Dabei waren die Kräfte der Natur stets besser und radikaler im Töten gewesen, als es der Wolf allein je vermocht hätte. Der arktische Winter des Jahres 1886 vernichtete fast sämtliche Herden im Tal. Nur die wirklich zähen Farmer überlebten.
Nur, wem sollte man schon die Schuld an der Kälte oder einer Seuche, einer Dürre oder am erbärmlich niedrigen Preis für Rindfleisch geben? Und warum auf die Regierung schimpfen, auf das Wetter oder auf Gott, wenn man den Teufel persönlich vor der Haustür hatte? Schließlich konnte man ihn jeden Abend hören, wie er sich da draußen herumtrieb und die Sterne vom Himmel herabheulte.
So wurde der Wolf zum Sündenbock von Hope.
Und wegen all seiner Verbrechen fingen sie ihn manchmal lebend und führten ihn in einer Prozession durch die Stadt. Kinder warfen mit Steinen, und die mutigsten hieben mit dem Stock nach ihm. Dann versammelten sich alle Bewohner unten beim Fluss und sahen zu, wie die Inquisitoren des Reverend Lobo ihn gleich einer Hexe auf einem Scheiterhaufen verbrannten.
Die meisten Wolfsjäger verschwanden mit dem Ende des Jahrhunderts. Man konnte nicht mehr von diesem Gewerbe leben. Mancher lernte ein neues, andere zogen weiter nach Norden oder Westen, wo die Jagd noch einfacher war. DieViehbarone hatten enorm an politischem Einfluss gewonnen, und so, gestärkt durch einen Rancher-Präsidenten, der den Wolf »eine Bestie der Wildnis und des Elends« nannte, übernahm die Bundesregierung den Kreuzzug gegen die Wölfe.
Allen Ranchern in staatseigenen Wäldern wurde befohlen, jeden Wolf zu töten, den sie aufspüren konnten, und ab 1915 verfolgte eine Behörde namens U.S. Biological Survey, die eigentlich dem Schutz der Natur dienen sollte, mit methodischem Eifer und beträchtlichem Budget eine Politik der »absoluten Ausrottung«.
So wie die Wölfe den Büffeln über die Prärien gefolgt waren, folgten sie ihnen wenige Jahre später auch auf dem Weg der Ausrottung.
In der weiten Wildnis um Hope konnten einige Exemplare überleben. Sie versteckten sich hoch oben in den Wäldern und waren zu
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