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Im Kreis des Wolfs

Im Kreis des Wolfs

Titel: Im Kreis des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Evans
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Bevölkerung gleichsam in einem immerwährenden Schwebezustand.
    »Übrigens, der Ort hat so seine Geschichte.«
    »Und wann bekomme ich die zu hören?«
    Hinter der Brücke zeigte er nach vorn.
    »Nimm da hinten die Abzweigung.«
    Sie bog von der Straße ab und hielt auf einem kleinen, kiesbestreuten Parkplatz am Fluss. Es standen schon einige Autos dort, also stellte Helen ihren Wagen daneben ab.
    »Komm«, sagte Dan, »ich will dir was zeigen.«
    Sie ließen Buzz im Wagen und gingen in einen kleinen, sich am Flussufer entlangziehenden Park. Es war ein hübscher Flecken mit Rasenflächen, deren Grün von Sprinkleranlagen frischgehalten wurde. In ihrem Sprühregen spannten sich Regenbogen, während Sonnenstrahlen durch die Schatten einiger hoher Weiden fielen. Es gab Schaukeln und ein Klettergerüst, doch die Kinder spielten offenbar lieberFangen unter den Rasensprengern. Ihre Mütter, die an einem der halben Dutzend hölzernen Picknicktische saßen, ermahnten sie nur halbherzig, damit aufzuhören.
    Unten am Ufer war zwischen zwei Pyramidenpappeln die Silhouette eines alten Mannes zu erkennen, der mit roten Hosenträgern und einer staubigen, blauen Schirmmütze am Wasser stand und einer Familie von Schwänen Brotkrusten zuwarf. Helen konnte sehen, wie ihre Füße im Wasser paddelten, damit sie von der Strömung nicht abgetrieben wurden.
    Dan bog in den Pfad ein, der sich vom Parkplatz zur weißen Holzkirche am anderen Ende des Parks emporwand. Er hielt den Blick gesenkt. Dann blieb er stehen und wies auf den Boden.
    »Komm her.«
    Helen blieb neben ihm stehen. Sie verstand nicht, was er ihr zeigen wollte.
    »Was ist?«
    Er bückte sich, hob etwas Kleines, Weißes auf und gab es ihr. Sie sah es sich aufmerksam an.
    »Scheint ein Stück Muschel oder so was zu sein.«
    Er schüttelte den Kopf und zeigte wieder auf den Boden.
    »Siehst du? Da ist noch mehr.«
    Überall am Wegrand lagen diese weißen Splitter wie Schneereste, abgeschliffen und von zahllosen Joggingschuhen und Fahrradreifen zu immer feineren Partikeln zerrieben.
    »Manchmal findet man größere Stücke«, sagte er. »Der Boden muss voll davon sein. Wahrscheinlich wächst hier deshalb der Rasen so gut.«
    »Und was ist das?«
    »Es stammt von einer alten Straße, die früher hier durchführte.«
    Helen runzelte die Stirn.
    »Es sind Wolfsknochen. Die Straße war mit Wolfsschädeln gepflastert.«
    Sie starrte ihn an und dachte, er wolle sie auf den Arm nehmen.
    »Es stimmt. Tausende und Abertausende von Schädeln.«
    Und während weiter unten im Park die Kinder unter den Rasensprengern spielten und ihr Lachen in der linden Abendluft leise zu ihnen herüberklang, als wäre die Welt schon immer so gewesen, setzte sich Dan an einen der Tische unter den Weiden und erzählte ihr, wieso es einmal einen Weg der Schädel gegeben hatte.

8
    Es geschah vor hundertfünfzig Jahren. Damals kamen zum ersten Mal weiße Jäger und Trapper in großer Zahl in dieses Tal. Anfangs lockte sie die Jagd auf Biber, da sie weiter im Osten kaum noch Beute fanden. Wachsam fuhren sie in ihren flachen Mackinaw-Booten den Missouri entlang, gefährlich beladen mit einer Unmenge von Vorräten, die sie hoffentlich über den Winter bringen würden. Als die Jäger zuerst nach Westen und dann nach Süden paddelten, entdeckten sie einen schmalen Zufluss, den nur die »Wilden« mit Namen kannten; doch da er zu den Bergen führte, folgten sie ihm und schlugen schließlich am Ufer ihr Lager auf.
    An den Hängen, auf denen heute die Kirche steht, gruben sie sich höhlenartige Bunker, die sie mit Holzstämmen, Erdklumpen und Buschwerk abdeckten, so dass von außen nur stummelige Schornsteine aus Feldsteinen zu sehen waren. Als die Männer im nächsten Frühjahr mit ihren bei der Jagd erbeuteten Fellen zurück nach Fort Benton ruderten, sprach sich bald herum, woher diese stammten. In den folgendenJahren kamen immer mehr Leute, mit Pferden und Wagen, und bald entstand ein Dorf von Jägern und Trappern, eine Kolonie des Gemetzels, der man nicht aus Zuversicht, sondern zur Erinnerung an ein ertrunkenes Kind den Namen Hope gab.
    Nach wenigen Wintern waren die Biber verschwunden, ihre Felle gegen Geld eingetauscht, das rasch für Indianerwhiskey und Frauen draufging, während die Felle selbst nach Osten verschifft wurden, wo sie die Köpfe und Hälse des modebewussten Stadtvolks wärmten. Und erst als sich kein Biber mehr in den Teichen fand, richteten Hopes frühe Bewohner ihre Aufmerksamkeit auf den

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