Im Kreis des Wolfs
Wolf.
Das Tal war seit undenklichen Zeiten ein besonderer Ort für Wölfe. Von den Blackfeet-Indianern, die hier ebenfalls lange gelebt hatten, als großer Jäger verehrt, kannte der Wolf das Tal als eine Zuflucht für Elche und Rotwild im Winter und als Passage von den Bergen hinab zu den Prärien, wo sie in großen Rudeln die noch größeren Herden der Büffel jagten. Um 1850 begann der weiße Mann sein großes Massaker unter den Büffelherden. Im Verlauf der nächsten dreißig Jahre tötete er über siebzig Millionen dieser Tiere.
Anfangs erleichterte dies sogar das Leben der Wölfe, denn die Jäger wollten nur das Fell und vielleicht noch die Zunge oder einige der besten Fleischstücke. Die Wölfe konnten sich am Rest gütlich tun. Doch dann überkam die Menschen jenseits des östlichen Meers ein großes Verlangen nach Wolfsfellmänteln. Und eine Möglichkeit, diese Nachfrage zu befriedigen, war rasch gefunden. Wie tausend andere Jäger im Westen, gute, schlechte und ein paar verrückte, begaben sich auch die Trapper von Hope auf Wolfsjagd.
Wölfe waren leichter als Biber zu fangen, falls man die zweihundert Dollar auftreiben konnte, die man für den Anfang brauchte. Eine Flasche Strychnin kostete fünfundsiebzigCents, und man brauchte zwei, um einen Büffelkadaver damit zu vergiften. Und wenn man den Kadaver an die richtige Stelle legte, konnte man mit ihm fünfzig Wölfe in einer Nacht zur Strecke bringen. Da gute Wolfsfelle zwei Dollar das Stück einbrachten, waren mit der Giftjagd eines einzigen Winters bis zu zweitausend Dollar zu verdienen. Bei soviel Geld schienen die Risiken akzeptabel, auch wenn man hier draußen ohne weiteres erfrieren oder seinen Skalp verlieren konnte, denn von allen weißen Eindringlingen waren die Wolfsjäger die verhasstesten; und wo immer sie konnten, brachten die Blackfeet sie um.
Jeden Tag machten sich die Wolfsjäger von Hope auf die Suche nach Köderfleisch. Als die Büffel seltener wurden, nahmen sie mit jedem Tier vorlieb, das sie auftreiben konnten, sogar mit kleinen Singvögeln, deren Brust behutsam aufgeschnitten und mit vergifteter Paste gefüllt wurde. Die Köderstrecke war oft mehrere Meilen lang und wurde kreisförmig angelegt. Wenn die Jäger dann am nächsten Morgen den äußeren Rand abritten, war die Gegend mit all den toten Tieren übersät, die diese Grenze überschritten hatten. Dabei fanden sie keineswegs nur Wölfe, sondern auch Füchse, Kojoten, Bären und Rotluchse, von denen noch einige würgten und zuckten. Speichel und Erbrochenes sollten das Gras noch auf Jahre hinaus vergiften und so manches Tier töten, das davon fraß.
Ein Wolf brauchte vielleicht eine Stunde zum Sterben, doch für die vorsichtigeren unter ihnen, für die, die nur am Fleisch geschnuppert und geleckt hatten, während ihre Geschwister große Brocken verschlangen, dauerte es vermutlich länger. Das Strychnin verrichtete seine Arbeit in ihrem Gedärm nur langsam, bis ihnen irgendwann das Fell ausfiel und sie wie nackte Geister heulend über die Prärie streunten, bis sie in der Kälte verendeten.
Wenn der Winter sein Regiment antrat und die tägliche Ernte fürs Häuten zu hart gefroren war, schichteten die Wolfsjäger ihre Beute wie Feuerholz im Schnee auf. Dadurch wurde die Arbeit an den Abenden leichter, doch konnte plötzliches Tauwetter alles verderben. Und ein solches Tauwetter war auch die Geburtsstunde des Schädelwegs.
Der Winter des Jahres 1877 brachte eine der längsten Frostperioden, die man je in Hope erlebt hatte. Im März stapelten sich mehr als zweitausend ungehäutete Wolfskadaver über den Höhlen der Wolfsjäger sowie rund um die Blockhütten, in denen inzwischen die meisten von ihnen hausten.
Doch dann lag eines Morgens ein warmer Hauch in der Luft. Von den Bäumen begann es zu tropfen, das Eis am Flussufer brach, und schon bald blies ein heftiger Chinook warme Luft von den Bergen herunter. Ein Aufschrei ging durch den Ort. Die Wolfsjäger, voll panischer Angst, sie könnten die Beute einer ganzen Saison verlieren, machten sich wie Dämonen am Tag des Jüngsten Gerichts mit ihren Ritschratschmessern ans Werk.
Bei Sonnenuntergang war auch der letzte Wolf gehäutet und kein Fell verloren. Die Wolfsjäger von Hope tanzten trunken vor Glück bis zu den Knien in einem Matsch aus Blut und geschmolzenem Schnee.
Jahrelang hatten sie die gehäuteten Kadaver ans flache Ufer des Flusses geworfen, wo sich Raben, Bussarde und sonstige Aasvögel über sie hermachten und
Weitere Kostenlose Bücher