Im Kreis des Wolfs
möchtest.«
Alle Ausflüchte, die sie vorbrachte, fegte Kathy vom Tisch, und obwohl sie seither nicht mehr davon gesprochen hatten, musste Eleanor doch oft daran denken. Beide Mädchen waren verheiratet, und Luke würde bald aufs College gehen, also könnte sie durchaus etwas gebrauchen, das diese Leere ausfüllte.
Früher, als Henry noch lebte, hatte sie sich um den Papierkram der Ranch gekümmert, den Kathy jetzt erledigte. Und vom Kochen einmal abgesehen – Eleanor dachte mit Staunen daran, dass ihr das Kochen einmal Spaß gemacht hatte –, blieb nicht viel zu tun. Manchmal langweilte sie sich schrecklich und fühlte sich so einsam, dass sie regelrecht um ihren Verstand fürchtete.
Sie kannte Ruth Michaels nur vom Sehen, hatte sie aber immer für eine aufgeweckte und freundliche Frau gehalten.Als sie vor fünf Jahren in die Stadt kam, hatten die Leute anfangs interessiert, aber auch ein wenig misstrauisch reagiert. Genauer gesagt, die Männer waren interessiert, die Frauen eher misstrauisch, und zwar aus denselben Gründen: wegen ihres dunklen, exotischen Aussehens und weil sie alleinstehend war. Inzwischen wurde sie von den Leuten akzeptiert, soweit dies bei einer New Yorkerin überhaupt möglich war, und war allgemein gern gesehen.
Eleanor ging nur selten in ihren Laden, war aber jedes Mal beeindruckt. Ruth verkaufte nicht den üblichen Touristenschund – indianische Traumfänger aus Plastik, Schneekugeln und Cowboy-T-Shirts mit witzigen Sprüchen. Sie hatte Geschmack, das sah man schon an ihrer Schmuckauswahl, den Büchern und diversen Kunstgegenständen.
Noch ehe sie sich ganz entschieden hatte, lief Eleanor bereits über die Straße.
Bei Ruth durften Zettel und Poster an ein Schwarzes Brett im Fenster gehängt werden, auf denen gewöhnlich Welpen angepriesen oder Ereignisse wie ein Picknick, Trödelmärkte oder etwa eine Hochzeit angekündigt wurden, zu denen man die ganze Stadt einlud. Zur Zeit ging es bei den meisten Mitteilungen um den Markt und das Rodeo, so auch bei dem Zettel, der Eleanor zum Schmunzeln brachte. »Posaunisten dringend gesucht«, stand da. »Rufen Sie Nancy Schaeffer an – SOFORT!« Unter der Tafel wärmte sich eine schwarze Katze in der Sonne.
Eine Glocke bimmelte, als sie die Tür öffnete und wieder schloß. Nach dem grellen Licht draußen brauchten Eleanors Augen einen Moment, sich ans Halbdunkel des Ladens zu gewöhnen. Hier drin war es kühl und still, leise Musik erklang, und der kräftige Geruch von Kaffee lag in der Luft. Es war niemand zu sehen.
Eleanor ging vorsichtig zwischen den hohen Regalen hindurch, die mit Tongeschirr, handgefertigtem Spielzeug und leuchtendbunten Indianerdecken gefüllt waren, und achtete darauf, nicht an das Durcheinander von Mobiles und Klangspielen zu stoßen, die von der Decke hingen, sich drehten und klingelten, sooft sie sich berührten. Sie sah Körbe voll mit Armbändern aus gefärbtem und geflochtenem Pferdehaar und Glasschränke, die vor Silberschmuck überquollen.
Aus dem hinteren Teil des Ladens, in dem sich die Cappuccino-Bar befand, waren dumpfe, zischende Geräusche zu hören. Als Eleanor näher kam, hörte sie Ruths Stimme: »Jetzt mach schon, verdammtes Luder! Jetzt
mach!«
Es war niemand zu sehen. Eleanor zögerte. Sie wollte nicht in irgendeine private Auseinandersetzung platzen.
»Ich gebe dir noch eine Chance, und dann prügle ich dir die Seele aus dem Leib, hast du gehört?«
Auf dem Tresen stand eine riesige Kaffeemaschine aus Chrom, die plötzlich zu explodieren schien und furchterregende Dampfwolken ausstieß.
»Du Miststück! Du elendes, nutzloses, gottverdammtes Miststück!«
»Hallo?«, rief Eleanor zaghaft. »Ruth? Sind Sie das?«
Mit einem Schlag war es still.
»Nicht, wenn Sie von der Bank oder vom Finanzamt sind.«
Ruths Kopf tauchte langsam über der Kaffeemaschine auf. Ein schwarzer Ölfleck zierte ihre Wange. Als sie Eleanor sah, blitzte einen Moment lang Panik in ihren Augen auf, doch dann lächelte sie.
»Mrs. Calder! Hallo! Tut mir leid, ich habe Sie nicht gehört. Diese Maschine wird mich im wahrsten Sinne des Wortes noch mal umbringen. Was kann ich für Sie tun? Soll ich Ihnen einen Kaffee machen?«
»Wenn das Ding da explodiert, dann lieber nicht.«
»Ach was, die benimmt sich nur so, wenn sie glaubt, dass keiner da ist.«
»Sie haben da was auf Ihrer …« Sie zeigte ihr den Fleck.
»Oh, danke.«
Sie suchte ein Papiertuch, benutzte die Kaffeemaschine als Spiegel und wischte den Fleck
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