Im Kreis des Wolfs
einer Staubwolke kopfüber ins Unterholz beförderte. Doch der Wolf war sofort wieder auf denBeinen, und da er sah, dass der Elch zum Fluss galoppierte, rannte er schräg aufs Ufer zu, um ihm den Weg abzuschneiden. Nach wenigen Sekunden war er neben ihm, drehte sich zu ihm um, sprang ihm zugleich von unten an den Hals und schloss die Zähne um den dort baumelnden, langen, buschigen Hautlappen.
Der Bulle holte mit dem Geweih nach ihm aus, aber der Wolf war schneller. Das ganze Rudel schien plötzlich zu spüren, dass die Jahre den Bullen träge gemacht und ihn geschwächt hatten und dass er, wie mächtig er auch immer gewesen war, heute Abend sterben würde.
Und als wollte er dem Bullen beweisen, dass er dies wusste, ließ der Alpha-Rüde ihn los und wäre fast von den schweren Vorderhufen niedergetrampelt worden. Aber er schnellte wie ein Akrobat erneut in die Höhe, um diesmal zu einem gefährlicheren Biss anzusetzen. Seine Zähne vergruben sich tief in der Kehle des Elchs.
Der alte Bulle war weiter als eine Meile gelaufen, blutete heftig aus Wunden an Hals und Rumpf. Die Jungtiere schlugen ihre Krallen in seine Flanken und sein Hinterteil. Doch er lief immer weiter.
Er bog jetzt scharf zum Fluss ab und stürmte, halb rennend, halb fallend, durchs Weidengebüsch das steile Ufer zum Wasser hinab, die Meute Wölfe hinter sich, und löste eine Lawine von Sand und Steinen aus.
Das Wasser war nahe am Ufer kaum dreißig Zentimeter tief, und als der Elch ins Flussbett sprang, knickte sein lahmes Bein ein, so dass er in die Knie ging und den Alpha-Rüden unter sich begrub. Rasch kam er wieder hoch, und als sein Hals aus dem Wasser auftauchte, hing der Wolf noch immer an ihm. Blut und Wasser strömten aus seinem Fell.
Die Welpen hatten den oberen Uferrand erreicht, von woaus sie den Kampf beobachteten. Der alte Bulle wandte den Kopf, als frage er sich, was mit seinen übrigen Verfolgern geschehen war, und fiel ins Wasser. In diesem Moment erkannte das weibliche Jungtier seine Chance, sprang ihm ins Gesicht und verbiss sich in seiner Nase. Der Elch hob den Schädel und schleuderte den Wolf hin und her wie ein nasses Wäschestück, aber das Weibchen ließ nicht locker.
All seine Anstrengungen konzentrierten sich jetzt auf die Zähne, die im schwarzen Fleisch seiner breiten Nase steckten. Blind taumelte er aufs andere Ufer zu und vergaß einen Augenblick lang, die anderen Wölfe abzuschütteln oder nach ihnen zu treten.
Das nutzten Alpha-Weibchen und männliches Jungtier und stürzten sich mit neuer Energie auf seine Flanken und seinen Rumpf, tauchten mit den Köpfen unter ihm hindurch, um ihm den Bauch aufzureißen, während der Alpha-Rüde ein weiteres klaffendes Loch in seine Kehle riss.
Als er schließlich das andere Ufer erreichte, waren Schmerz und Blutverlust zuviel für den alten Elchbullen, seine Läufe knickten ein, und er ging zu Boden.
Er kämpfte und trat noch weitere zehn Minuten um sich, schaffte es sogar, kurz wieder auf die Beine zu kommen und die blutige Meute abzuschütteln, doch dann brach er abermals, zum letzten Mal, zusammen.
Für die Welpen am Ufer war dies gleichsam das Stichwort, sich vorsichtig ihren Weg durchs Wasser zu suchen und dem Festschmaus anzuschließen.
Erst als der alte Bulle zu zucken aufhörte und der aufgehende Mond im blicklosen Schwarz seiner Augen schimmerte, ließ der Alpha-Rüde von ihm ab. Und er setzte sich auf, reckte die blutige Schnauze gen Himmel und heulte.
Und ein Tier nach dem anderen, die ganze Familie, hob den Kopf und heulte mit ihm.
Wo einst Leben gewesen war, da war nun Tod. Und so nährte der Tod das Leben. Hier waren Lebende und Tote in einem Kreislauf vereint, so alt und unwandelbar wie der Mond.
16
Die Pachtweiden, die von den Calders und ihren Nachbarn als Sommerweiden genutzt wurden, lagen an den Hängen der Berge wie Flicken, die von einem fleißigen Riesen ins dunklere Grün des Waldes genäht worden waren. Zwischen ihnen zeigten sich entlang der Bachläufe und Schluchten hellgelbe, zitronenfarbene und goldene Nähte, da die Nächte den Weiden und Sauerkirschen bereits den ersten Frost bescherten.
In so manchem Jahr lag um diese Zeit schon der erste Schnee, doch war der Sommer diesmal wie ein Partygast, der nicht gehen wollte, ganz ähnlich wie die Zugvögel am wolkenlosen, kobaltblauen Himmel.
Buck Calder zügelte sein Pferd auf einer kahlen Felsnase, die aus dem Wald über seine Pachtweiden ragte. Das Pferd war ein hübscher, breitbrüstiger
Weitere Kostenlose Bücher