Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Kreis des Wolfs

Im Kreis des Wolfs

Titel: Im Kreis des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Evans
Vom Netzwerk:
nach rechts schlich, aber stets die gleiche Distanz zum Bullen hielt. Dann kam er denselben Weg zurück und beschrieb einen Halbkreis nach links, da er hoffte, den alten Bullen zu einem Ausbruchsversuch zu verleiten.
    Ein Bulle, selbst ein alter und lahmer, war, wenn er nicht von der Stelle wich, ziemlich schwierig zu töten. Er konnte sehen, aus welcher Richtung seine Angreifer kamen, und seine Abwehrstöße genauer platzieren. Und mit einem einzigen geschickten Hufschlag konnte er einem Wolf den Schädel spalten. Also mussten sie ihn dazu bringen wegzulaufen, da er dann nicht so gut zielen und auch nicht mehr sehen konnte, wo ihn der nächste Biss treffen würde.
    Doch der alte Bulle rührte sich nicht, bewegte nur die Augen, die jedem Schritt des Wolfs folgten, zuerst in die eine, dann in die andere Richtung. Der Wolf blieb auf der linken Seite und legte sich hin. Und wie auf ein Kommando kam jetzt das Alpha-Weibchen nach vorn. Es lief nach rechts, langsam, fast schlendernd, ein wenig weiter als das Männchen. Unten am Bachufer blieb es stehen, im Rücken desElchs, so dass sich dieser schließlich doch bewegen musste, wenn er sie im Auge behalten wollte.
    Er wandte sich zu ihr um und begriff im selben Moment, dass er den Alpha-Rüden aus dem Blick verloren hatte, drehte sich deshalb erneut zu ihm um und wich dabei ein paar Schritte zurück. Sobald er sich bewegte, bewegte sich auch das jüngere Weibchen und folgte seiner Mutter durch den Wald.
    Der Bulle schüttelte sich unbehaglich, wich weiter zum Wasser zurück und überlegte vermutlich, ob es nicht doch besser sei, vor seinen Angreifern zu fliehen.
    Sein Instinkt mochte ihm sagen, sich in den Fluss zu stürzen, doch als er sich umdrehte, sah er die beiden Weibchen, die sich am Ufer um ihn herumgeschlichen hatten. Zwischen ihnen und dem Alpha-Rüden war für eine Flucht wahrscheinlich nicht genug Platz. Das Alpha-Weibchen stand mit den Pfoten im Wasser, und als der Elch zu ihm hinübersah, senkte es gemächlich den Kopf und trank, als sei es einzig aus diesem Grund hier.
    Wie auf ein Signal hin rückten das männliche Jungtier und die fünf Welpen zum Alpha-Rüden auf und öffneten so eine weite Bresche, die der Bulle – wie zweifellos erwartet – sogleich erkannte.
    Plötzlich kam Bewegung in ihn. Er donnerte durch das Dickicht, die Hufe schleuderten feuchte, schwarze Erde auf, und sein Geweih schrammte an den weißen Erlenstämmen vorbei, riss ihre Borke ab und ließ einen Blätterregen hinter ihm zu Boden rieseln.
    Kaum bewegte er sich, waren die Wölfe schon hinter ihm her. Er lahmte auf dem rechten Vorderbein und lief mit einer seltsam schaukelnden Bewegung. Dieser Anblick schien im Alpha-Rüden zusätzliche Kraftreserven zu mobilisieren. Mit jedem Satz kam er dem Bullen näher. Die anderenTiere waren ihm dicht auf den Fersen, wichen auf ihren jeweiligen Routen den Bäumen aus und sprangen über Felsbrocken und Äste, die den Waldboden bedeckten.
    Weiter oben bot das Flussufer eine offene Fläche. Der alte Bulle jagte darauf zu, da er wohl hoffte, dass ihn sein Geweih dort nicht behindern und er mit ein wenig Glück bis ans Wasser gelangen würde. Doch kaum stürmte er aus dem Dickicht, machte der Alpha-Rüde einen riesigen Satz und schlug die Zähne in sein Hinterteil.
    Der Bulle versuchte, den Wolf mit den Hinterläufen zu treten, aber der wich geschickt aus, ohne loszulassen, und jener Bruchteil einer Sekunde, den der Elch dadurch an Geschwindigkeit einbüßte, gab dem Alpha-Weibchen die Chance, auf die es gewartet hatte. Es fletschte die Zähne und vergrub sie in der rechten Flanke des Bullen. Als er versuchte, es mit den Läufen abzuwehren, geriet er ins Stolpern. Doch er fing sich rasch wieder und jagte mit zwei Wölfen, die sich an beiden Seiten in ihn verbissen hatten, die Lichtung hinauf.
    Mehr als eine halbe Meile war er bereits gerannt, durch ein weiteres Dickicht und über eine von Geröll übersäte Wiese, als sich die Jungtiere ebenfalls an der Jagd beteiligten. Vorher hatte es ausgesehen, als wollten sie den Alphas die Hatz überlassen, doch jetzt begannen sie, sich in der anderen Flanke des Bullen zu verbeißen. Die Welpen sprangen hinterdrein. Die wagemutigeren reizte es ganz offensichtlich, ins Geschehen einzugreifen; die anderen aber hielten sich zurück und begnügten sich mit der Beobachterposition.
    Mittlerweile verlor ihr Vater den Halt, und der Bulle holte aus und verpasste ihm mit dem Hinterlauf einen donnernden Tritt, der ihn in

Weitere Kostenlose Bücher