Im Kreis des Wolfs
befreien, zweimal gewickelt hatte.
»Die läuft uns so schnell nicht mehr weg«, sagte Helen. »Sieht ganz so aus, als kämen wir von der anderen Seite am besten an sie ran.«
Sie sprangen vom Felsen herunter und eilten zu der Stelle, an der sie ihre Rucksäcke zurückgelassen hatten. Helen holte den Stock mit der daran befestigten Spritze und zog die nötige Menge Telazol auf. Dann näherten sie sich dem Wolf von der gegenüberliegenden Seite durch das Dickicht. Helen ging voran.
Sie hörte die Wölfin knurren, und als sie die letzten, schützenden Büsche beiseite schoben, versuchte sie erneut, sich auf sie zu stürzen, doch die Kette hielt. Die Wölfin fauchte und duckte sich dann langsam zu Boden.
»He, Mom«, sagte Helen leise. »Bist du aber eine Hübsche.«
Die Wölfin war in bester Verfassung, ihr Fell glänzte und hatte schon fast Winterdichte. Helen schätzte ihr Alter auf drei bis vier Jahre, ihr Gewicht auf etwa vierzig Kilo. Die Augen blitzten grünlichgelb im Sonnenlicht.
»Alles in Ordnung, Kleines«, gurrte Helen. »Keine Sorge, wir wollen dir nichts tun. Du sollst nur ein kleines Nickerchen machen.«
Im gleichen sanften Tonfall bat sie Luke, langsam auf die andere Seite zu gehen. Wie erhofft, wurde die Wölfin misstrauisch und drehte sich um. Sie kämpfte gegen das Gewicht der Falle und ließ Luke nicht aus den Augen. Jetzt hatte Helen ihre Chance. Sie holte aus, und wie eine Matadorin stieß sie dem Wolf die Spritze ins Hinterteil.
Kaum war die Nadel im Fell, fuhr die Wölfin fauchend mit dem Kopf herum. Doch Helen, die damit gerechnethatte, presste den Stock so lange in ihr Fleisch, bis die Spritze leer war. Dann wich sie zurück und schaute aus sicherer Entfernung zu, wie die Augen der Wölfin sich trübten, ihre Glieder erschlafften und sie schließlich zusammensackte.
Eine halbe Stunde später hatten sie es fast geschafft. Sie legten ihr eine Augenbinde um, wogen sie, nahmen ihre Maße, etwas Blut und Kot und untersuchten sie von Kopf bis Fuß. Sie war frei von Läusen und schien in einem ausgezeichneten Gesundheitszustand zu sein. Die Falle hatte eine leichte Fleischwunde am Bein hinterlassen, doch waren keine Knochen gebrochen. Helen trug eine antibiotische Salbe auf und verabreichte der Wölfin zur Sicherheit noch eine Spritze. Jetzt brauchten sie ihr nur noch einen Clip mit ihrer Kennummer ins Ohr zu knipsen und das Halsband mit dem Radiosender umzulegen.
Luke kniete neben der Wölfin und streichelte ihr silbriges Fell. Er hatte sich als Assistent großartig bewährt, hatte Notizen gemacht, für Helen die Proben beschriftet und ihr alles Nötige aus dem Koffer gereicht, in dem sie aufbewahrte, was sie für ihre Feldstudien brauchte.
Helen ging in die Hocke und beobachtete ihn. Er streichelte die Wölfin so selbstvergessen, und seine Augen sahen sie so sanft und unschuldig an, dass Helen am liebsten ihre Hand ausgestreckt und ihn ebenfalls gestreichelt hätte.
Statt dessen sagte sie: »Hat sie nicht ein phantastisches Fell? Unglaublich, diese verschiedenen Schichten …«
»Ja, und diese Farben. Von w-w-weitem sieht sie bloß weiß aus, aber von nahem kann man auch die anderen Farben sehen. Braun und Schwarz, sogar ein b-b-bisschen Rot.«
Er schenkte ihr ein Lächeln, und Helen erwiderte es. Erneut spürte sie, dass sie beide etwas verband, doch hätte sie nicht sagen können, was es war. Schließlich wandte sie den Blick ab und betrachtete die Wölfin.
»Das alte Mädchen wird bald wieder aufwachen.«
Sie befestigte den Ohrclip und notierte sich die Nummer. Dann legte sie der Wölfin das Halsband um, stellte sicher, dass es weder zu eng noch zu locker saß, und schaute nach, ob das Signal noch funktionierte. Schließlich nahm sie die Augenbinde ab, machte ein paar Fotos, und als sie ihre Sachen zusammenpackten, begann sich die Wölfin auch schon zu regen.
»Verschwinden wir«, sagte Helen.
Luke stand neben der Wölfin und sah auf sie herab. Helen dachte, er hätte sie nicht gehört.
»Luke?«
Er drehte sich um, und sie sah die Trauer in seinen Augen.
»Ist was?«
»Nein.«
»Wissen Sie, das Halsband kann ihr das Leben retten.«
Er zuckte die Achseln. »Ja, vielleicht.«
Sie zogen die Wölfin aus dem Dickicht und legten sie neben dem Pfad etwa an die Stelle, an der sie in die Falle geraten war. Dann hievten sie die Rucksäcke auf den Rücken und liefen über die Wiese zurück. Unten am Bach verjagte ein Kojote die Raben vom Elchkadaver. Als er Luke und Helen sah,
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