Im Kreis des Wolfs
hielt er inne und verzog sich dann griesgrämig ins Gebüsch.
Unter den Bäumen am anderen Ende der Wiese blieben sie stehen und beobachteten, wie die Wölfin benommen auf die Beine kam. Sie machte ein paar wacklige Schritte, verharrte aber gleich darauf, um sich die Vorderpfote zu lecken. Dann streckte sie die Nase in den Wind, fing ihre Witterung auf, drehte sich sofort zu ihnen um und starrte sie an. Helen winkte ihr zu.
»Bis später, Mom.«
Verächtlich, wie eine gekränkte Filmdiva, wandte sich die Wölfin mit stolz hochgerecktem Schwanz ab und trottete in Richtung Cañon davon.
18
Er konnte den Blick nicht von ihr wenden.
Sie schlenderte am Bach entlang und sprach in ihr Handy. Schuhe und Socken hatte sie ausgezogen, und vor jedem Schritt streckte sie ihre Zehen wie eine Balletttänzerin. Moon Eye weidete im saftigen Gras nah am Wasser, und Helen strich gedankenverloren mit einer Hand über sein Fell, als sie an ihm vorbeiging. Luke fragte sich, ob sie überhaupt ahnte, wie schön sie war.
Er saß vor der Hütte im Gras, wo sie ihr Picknick gemacht hatten. Als sie aus dem Wald hierher zurückgekommen waren, hatte Helen eine alte, blaue Decke am Boden ausgebreitet, Käse, Obst, Nüsse, Kekse und Schokolade geholt, sich mit ihm in die Sonne gesetzt, gegessen und dabei aufgeregt über das soeben Erlebte geredet.
Die Sonne verschwand hinter der Hütte. Ihr Schatten kroch über die Decke, über Lukes Oberkörper, seine Beine und schließlich seine Stiefel. Neben ihm wälzte sich Buzz auf dem Rücken wie im siebten Hundehimmel, als Luke ihm den Bauch kraulte und dabei Helen betrachtete. Sie redete mit ihrem Boss, der sie offenbar ein wenig aufzog.
»Was soll das heißen, ich hab
Glück
gehabt?«, fragte sie. »Von wegen Glück. Das ist Können, Prior, reines Können. Wann hast du schon mal zwei Wölfe an einem Tag gefangen?«
Gleich nachdem sich das Alpha-Weibchen aus dem Staub gemacht hatte, war es passiert. Sie überprüften erneut alleFrequenzen und hörten ein zweites Signal. In einer Falle einige hundert Meter weiter fanden sie einen zweiten Wolf, diesmal einen jungen Rüden.
»Ich sage dir, Dan, diese Stelle da oben am Wrong Creek ist die reinste Wolfsautobahn.«
Luke hörte den Flügelschlag von Wildgänsen und schaute blinzelnd zum Himmel hinauf. Zwei Scharen Gänse folgten in Pfeilformation der Bergkette nach Süden. Erneut blickte er zu Helen hinüber und sah, dass sie die Vögel ebenfalls betrachtete. Sie hatte ihn schon einige Male dabei ertappt, wie er sie beobachtete, aber es schien ihr nichts auszumachen. Sie lächelte, als sei es das Natürlichste von der Welt.
Anfangs hatte sie ihn ein bisschen nervös gemacht, und er hatte viel gestottert, doch sie schien das gar nicht zu bemerken, und schon bald entspannte er sich. Mit ihr war alles ganz unkompliziert. Sie war lebhaft, redete schnell und viel, und wenn sie lachte, warf sie den Kopf in den Nacken und fuhr sich mit den Händen durchs Haar.
Am besten gefiel ihm, dass sie ihn manchmal berührte, wenn sie ihm etwas erzählte, ihm einfach nur, als sei es ganz selbstverständlich, eine Hand auf Arm oder Schulter legte. Als sie das zweite Signal gehört hatten und wussten, dass ein zweiter Wolf in die Falle gegangen war, hatte sie ihn in den Arm genommen und fest an sich gedrückt. Luke wäre vor Verlegenheit fast gestorben. Der Hut fiel ihm vom Kopf, und er wurde rot bis über beide Ohren.
Moon Eye hörte plötzlich auf zu grasen, hob den Kopf und schaute über den See. Und in der nächsten Sekunde sprang Buzz auf und rannte bellend den Hügel hinunter. Zwei Reiter näherten sich ihnen vom Wald her. Als Luke sie erkannte, gab es ihm einen Stich ins Herz.
Er hatte mit Helen vereinbart, dass seine Mithilfe beimFallenstellen ein Geheimnis blieb. Nicht mal Dan wusste davon. Doch jetzt flog die Sache auf. Als er zu Helen hinüberschaute, sah er, dass sie das Gleiche dachte. Sie beendete ihr Telefongespräch. Luke stand auf und beobachtete, wie Clyde und sein Vater die Pferde um den See und den Abhang hinauflenkten, während Buzz bellend um sie herumsprang.
»Guten Morgen«, sagte Helen fröhlich.
Sie befahl Buzz, still zu sein. Lukes Vater tippte sich grüßend an den Hut und bedachte sie mit jenem Lächeln, das er stets dann aufsetzte, wenn er überzeugt war, jemanden in die Enge getrieben zu haben.
»Ma’am.«
Clyde sagte keinen Ton, sondern starrte Luke nur an, als sie die Pferde vor der Hütte zügelten. Luke sah, wie der Blick seines
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