Im Kühlfach nebenan
greifbare Ergebnis, außer vierzehn leeren Flaschen und einem Rotweinfleck auf dem teuren Wollteppich, war der
Beschluss, den Kinderschutzbund um Unterstützung zu bitten. Immerhin seien gerade die Kinder durch die Anwesenheit von Pennern
und Junkies besonders bedroht. Susanne versprach, sich am nächsten Tag darum zu kümmern, gleich nach ihrem Termin im Nagelstudio.
Ich beneidete Rolf, der sich das Kindergartentheater erspart hatte.
»Können wir jetzt endlich mit unseren Ermittlungen loslegen?«, fragte ich Martin um sieben Uhr dreißig. Keine Ahnung, warum
er sich den Wecker gestellt hatte, denn er musste heute noch nicht wieder arbeiten gehen, aber so ist er eben. Ordentlich
und präzise. Womit das Konfliktpotenzial unserer Beziehung bereits hinreichend beschrieben wäre.
Das Wort Konfliktpotenzial habe ich aus einer Fernsehsendung für Möchtegern-Psychologen. Solche Formate, wie sich der Blödsinn
nennt, schießen aus dem Boden wie der Fußpilz im öffentlichen Schwimmbad. Ein Kindermädchen erklärt Eltern, wie sie ihre missratene
Brut erziehen sollen, ein Geldzähler verkündet staunenden Familien, |61| dass sie nicht mehr Geld ausgeben können, als sie haben, und neuerdings gibt es nun auch noch eine dralle Blondine, die Paare
in ihrer Beziehungsarbeit berät. Völlig unnötig, meiner Ansicht nach. Es gibt drei einfache Regeln, deren Befolgung für eine
funktionierende Beziehung ausreicht. Will die Tussi labern, mach die Horchklappen zu und lass sie labern. Will sie zipfeln,
gib’s ihr. Will sie nicht, such dir ’ne neue. Eigentlich ganz simpel.
Dank der Glotze hatte ich natürlich die Möglichkeit, die Beziehung zwischen Martin und mir auf eine ganz neue Basis zu stellen.
Sagte die Blonde. Wir müssten viel mehr aufeinander eingehen, uns unsere Wünsche und Bedürfnisse mitteilen und auch ein Stück
weit akzeptieren, dass wir den anderen niemals ganz verstehen werden. Das, was am Verständnis noch fehlt, müsse durch Toleranz
ausgeglichen werden.
Ich hatte nichts Besseres zu tun, war also bereit, das auszuprobieren.
»Ich habe um acht Uhr einen Termin beim Arzt«, erklärte Martin mir noch reichlich verschlafen. »Beim Arzt? Du kommst gerade
erst aus dem Krankenhaus.«
»Das Krankenhaus kann mich aber nicht krankschreiben.«
»Sehr logisch«, erwiderte ich. Die Psychotussi hat aber gesagt, dass man über Dinge, die außerhalb des Einflusses der beiden
Partner liegen, auch nicht streiten soll, also behielt ich meine Meinung über die Arzthonorarbeschaffungsmaßnahmen des deutschen
Gesundheitssystems für mich. »Aber danach geht es endlich los.«
»Dann fahre ich erst mal ins Institut, um die Krankmeldung abzugeben und den Kollegen für die Blumen, die Schokolade, die
Bücher und die Genesungswünsche zu danken.«
|62| »Die Krankmeldung kannst du per Post schicken und die Kollegen siehst du noch früh genug wieder«, wandte ich ein.
»Danach muss ich zur Bücherei …« Martin war inzwischen im Bad angekommen, schickte mich mit einer kurzen Aufforderung hinaus und schloss die Tür hinter
sich. Ich bin kein Perverser, der dabei zusieht, wie ungewaschene Männer ihren morgendlichen Ablasshandel betreiben, daher
war der Rauswurf unnötig. Das sagte ich Martin jedoch nicht, denn die psychologisch geschulte Blondine empfiehlt in solchen
Situationen, beim eigentlichen Thema zu bleiben und nicht auf Nebenkriegsschauplätze – also die unnötige seelische Grausamkeit
des Rauswurfs – auszuweichen. Also blieb ich beim Thema, und das sehr eindeutig.
»Spätestens um zehn Uhr will ich dich in Mariental sehen«, schrie ich durch die geschlossene Badezimmertür. Schreien kann
ich natürlich nicht, aber die Intensität des Gedankenaustausches kann ich sehr wohl regulieren.
Martin riss die Tür auf und starrte auf einen Punkt, an dem ich mich nicht befand. Aber das konnte er natürlich nicht wissen.
»Um elf Uhr bin ich beim Eiscafé. Bis dahin will ich meine Ruhe haben.«
Er knallte die Tür wieder zu. »Okay, bis elf dann«, dachte ich in normaler Intensität. Ich war stolz auf mich. Ich hatte ein
Zugeständnis gemacht. Das sei ein Zeichen innerer Größe, sagte die Psychotante. Martins Abwehrhaltung würde in sich zusammenfallen
und die Krise wäre beigelegt.
»Wer nachgibt, gewinnt«, hieß ihr Fazit, das sie mit einem strahlenden Lächeln in die Kamera gehaucht hatte. Die Art, wie
sie das sagte, ließ mich in wehmütiger Erinnerung meine
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