Im Kühlfach nebenan
Schwellkörper vermissen.
|63| Ich musste gar nicht erst nach Marlene suchen, ich fand sie gleich auf Anhieb. Natürlich in der Kirche. »Hast du etwas Neues
erfahren?«, fragte ich zur Begrüßung.
»Der Herr sei mit dir«, entgegnete Marlene. Ich war mir nicht sicher, ob das wieder Teil eines Gebetes war oder ihre klösterliche
Art, »Hey Alter« zu sagen, daher erwiderte ich vorsichtshalber nichts.
»Sie überlegen, den Anbau abzureißen.« Aha, wir kamen wieder auf eine weltliche Ebene, jetzt konnte ich mitreden. »Wer? Warum?«
»Die Mutter Oberin hat mit Herrn Baumeister gesprochen. Er hält die Statik des Anbaus für gefährdet und meint, eine Sanierung
wäre zu teuer.« »Aha.«
»Außerdem liegt jetzt das Angebot für die Erneuerung des Klosterdachs vor. Es wird doch sehr viel teurer, als wir ursprünglich
gehofft hatten. Selbst mit der Erbschaft ist es fraglich, ob wir das Kloster auf Dauer halten können.« Nun, diese Fragen waren
für Marlene und ihre Schwestern sicher wichtig, hatten aber mit unseren Ermittlungen nichts zu tun, daher ging ich nicht näher
darauf ein.
»Gibt es Neuigkeiten über die Brandnacht?«, präzisierte und wiederholte ich meine Frage von vorhin. »Oder über die …« Mumie, hatte ich sagen wollen, konnte mich aber gerade noch zurückhalten. »Die verletzte Schwester.«
»Nein. Wir beten für sie.« Na toll. Zum Glück gab es neben den Betschwestern noch Ärzte, die ihr auf handfestere Art zu helfen
versuchten. Und mich, der der Sache auf den Grund gehen wollte. »Es ist gleich elf«, stellte ich fest. »Kommst du mit?«
Marlene sprach noch ein kurzes Gebet für Martin und
|64| bat um Erfolg bei seinen Bemühungen, dann folgte sie mir in den Sonnenschein, der sich langsam durch den Nebel arbeitete.
»Die Chefin der Nachbarschaftsinitiative heißt Susanne Gröbendahl«, eröffnete ich Martin, als er pünktlich um elf Uhr vor
dem Eiscafé eintraf. Er war trotz der sommerlichen Temperaturen wieder angezogen, als stünde ein arktischer Kälteeinbruch
unmittelbar bevor. Natürlich ohne seinen geliebten Dufflecoat, der auch durch mehrmaliges Reinigen nicht von den fast zwei
Litern Blut hatte befreit werden können, die Martin damals verloren hatte. Dafür trug er jetzt einen langen Wollmantel. Bei
zwanzig Grad. Wenigstens hatte er auf die Mütze verzichtet.
»Sie wohnt dort in dem Eckhaus.« »Ist Schwester Marlene auch da?«, fragte Martin. »Ja«, antworteten Marlene und ich im Chor,
wobei Martin natürlich nur mich hören konnte.
»Was haben Sie für Erfahrungen mit dieser Nachbarschaftsinitiative gemacht?«, fragte Martin. »Gar keine«, sagte Marlene. »Ich
wusste gar nicht, dass es diese Initiative gibt.« »Kennen Sie Frau Gröbendahl denn persönlich?« »Nein. Sie war nie in einer
Andacht oder einem Gottesdienst.«
»Sind die denn öffentlich?«, fragte Martin. »Unsere Stundengebete sind für alle offen und die Gottesdienste an Sonn- und Festtagen,
für die ein Priester aus der Innenstadt kommt, natürlich sowieso.« »Vielleicht ist Frau Gröbendahl ja evangelisch«, murmelte
Martin.
Ja, und vielleicht hat sie auch einfach keinen Bock auf das heilige Gesabbel und zipfelt stattdessen lieber mit UVbestrahlten
Nachbarn.
|65| Endlich lag Martins Zeigefinger auf dem Klingelknopf. Es dauerte nicht lang und die süße Suse öffnete die Tür. »Ja bitte?«,
fragte sie, zweifellos überrascht angesichts des Herrn im Wollmantel. »Guten Tag, Frau Gröbendahl, mein Name ist Martin Gänsewein«,
Marlene zuckte, aber das konnte Martin ja leider nicht spüren, »und ich komme wegen des Brandes im Anbau des Klosters.«
»Damit habe ich nichts zu tun«, sagte sie schnell. »Wir suchen Zeugen«, erklärte Martin, ohne rot zu werden. Er hat schon
eine ganze Menge von mir gelernt. »Ich habe nichts gesehen.« »Natürlich nicht, das Feuer ist ja nachts ausgebrochen«, sagte
Martin mit einem halbherzigen Lächeln. »Aber es wäre wichtig, dass Sie uns ein paar allgemeine Angaben zu den Vorgängen rund
um das Obdachlosenasyl machen könnten. Darf ich dazu hereinkommen?«
»Sind Sie von der Polizei?«, fragte Frau Gröbendahl. »Ich unterstehe der Staatsanwaltschaft«, murmelte Martin.
Das war nicht völlig gelogen, da es Aufgabe der Staatsanwaltschaft ist, Obduktionen anzuordnen, und Aufgabe der Rechtsmediziner,
diese Anordnungen auszuführen. Zum Glück fragte Frau Gröbendahl nicht nach einem Ausweis, sondern trat zur Seite
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