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Im Kühlfach nebenan

Titel: Im Kühlfach nebenan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Profijt
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total verdächtig. »Das Bewusstsein, etwas Gutes zu tun«,
     antwortete Marlene.
    »So ein Blödsinn«, sagte ich. »Viele Menschen spenden Geld für eine gute Sache«, belehrte sie mich. »Manche spenden Geld für
     die Opfer von Erdbeben oder Flutwellen, andere spenden für Menschen, die hungern oder krank sind und keine Medizin bezahlen
     können.«
    »Na gut«, lenkte ich ein. »Aber da geht es um Menschen.«
    »In Barcelona wird seit über achtzig Jahren eine Kirche gebaut, die nur aus Spenden finanziert wird.«
    |52| Auf diesem Gebiet kannte sie sich sicher besser aus als ich und vermutlich hatte sie sogar recht, daher vertiefte ich das
     Thema nicht weiter. »Schöner Schuppen jedenfalls, wenn man von den Baumängeln absieht«, sagte ich versöhnlich. »Zeigst du
     mir jetzt noch den Anbau, wo   …« »Wo ich verbrannt bin«, ergänzte sie leise. »Komm mit.« Der Vorteil, wenn man ein Geist ist, besteht darin, dass die Tatortversiegelung
     der Bullen uns nicht an einer Besichtigung der Örtlichkeiten hindert. Wir schwirrten also in den Anbau, in dem es widerlich
     nach Feuer, Ruß und nassem Putz stank. Klar, der größte Schaden eines Feuers wird meist durch das Löschwasser verursacht,
     das in diesem Fall zu allem Übel auch noch viel zu spät gekommen war.
    Der lange Raum war bis auf die Überreste des eingestürzten Dachs und einen Haufen verkohltes Holz in der Mitte leer, die zwei
     Türlöcher und die zerplatzten Fensterscheiben waren nur notdürftig mit Brettern vernagelt. Der Fußboden bestand aus alten
     Steinplatten, die Sprünge und Risse aufwiesen. Die Wände waren nackt und rauchgeschwärzt, die neuen Heizungsrohre verliefen
     auf dem Putz zu den drei Fensternischen. Außer diesen Rohren deutete nichts darauf hin, dass der Raum gerade erst renoviert
     worden war. Nächstenliebe hin oder Asyl her, einen übertrieben großen Aufwand hatte der Orden bei der Renovierung des Anbaus
     nicht betrieben. Aber da dies eine Notschlafstelle war und kein Fünfsternehotel, sah ich gnädig darüber hinweg.
    Die Stelle, an der man Marlenes Leiche gefunden hatte, war mit Kreide markiert. Wir schwebten einen Moment darüber, aber Marlene
     fühlte sich unwohl, das konnte ich spüren.
    »Bist du traurig, dass du tot bist?«, fragte ich sie.
    |53| Die Frage war mir so herausgerutscht, obwohl ich die Antwort kannte.
    »Ich glaube schon«, murmelte sie. »Ich hatte eine wichtige Aufgabe und habe sie gern gemacht. Und du?« Aufgabe? Sie vermisste
     ihr Leben, weil sie was Wichtiges zu tun hatte? Nicht, weil sie einfach Spaß gehabt hatte? Sich mit ihren Schwestern abends
     eine Kissenschlacht geliefert oder gern fettigen Schweinebraten gefuttert hatte? Nicht wegen des Fernsehprogramms oder angespitzter
     Konzert-DVDs? Und das waren nur die kleinen Freuden des Lebens, die ich für klosterkompatibel hielt. Von den anderen ganz
     zu schweigen. Nein, Lenchen vermisste ihr Leben, weil sie jetzt ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen konnte.
    Ich hielt lieber den Rand. Seit Wochen stellte ich mir selbst diese Frage immer wieder und wusste keine Antwort darauf. Krass,
     oder? Eigentlich sollte man doch meinen, dass mir mein Leben fehlt – und das war immerhin kein Klosterleben. Die dicksten
     Schüsseln klauen, mit Kumpels pegeln gehen, Weiber vernaschen. Aber glücklich war ich nicht gewesen. Hatte viel Zeit vor der
     Glotze rumgeschimmelt und allein gepegelt. Vor der Glotze hängen konnte ich immer noch, nur besaufen ging nicht mehr. Und
     zipfeln erst recht nicht. Bevor ich völlig in die sentimentale Seelendiagnose abglitschte, wechselte ich schnell das Thema.
    »Was machen wir den Rest des Tages?« Marlene hatte konkrete Vorstellungen. »Ich bleibe im Kloster. Es ist gleich Zeit für
     die Terz und ich möchte gern gemeinsam mit meinen Schwestern beten.« Na, super. Martin wollte heute nichts mehr mit mir zu
     tun haben und meine liebe Marlene, die sich in der gleichen kontaktarmen Situation befand wie ich, wollte mit ihren Schwestern
     beten. Was auch immer sich hinter ihrem » |54| Terz machen« versteckte, hatte offenbar wenig mit dem zu tun, was ich darunter verstand. Da langweilte ich mich lieber allein.
     Ich verabschiedete mich und beschloss, mich im angrenzenden Stadtviertel bei den unchristlich intoleranten Nachbarn etwas
     umzusehen. Wenn sich schon sonst niemand für den Fall zu interessieren schien, wollte wenigstens ich etwas Sinnvolles tun.
     Wichtige Aufgaben konnte man nämlich auch noch haben, wenn man

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