Im Kühlfach nebenan
und gab die
Tür frei. Der Rotweinfleck war von dem Wollteppich verschwunden. Weiß der Teufel, wie sie das geschafft hatte. In meiner Wohnung
sind Flecken nie verschwunden. Es kamen immer nur neue dazu. Auch ansonsten erinnerte nichts mehr an die Versammlung vom Vorabend.
Martin stellte ein paar artige Fragen nach den allgemeinen Vorgängen und schon kam die Dame in Fahrt. »Den ganzen Tag hängen
die Männer inzwischen hier herum, dort, direkt vor unserem Haus.« Sie machte eine |66| vage Armbewegung in Richtung Klostermauer. »Da liegen dann Glasscherben, sogar Spritzen habe ich schon gefunden. Außerdem
pinkeln sie an die Mauer und lassen ihren Müll da liegen.«
»Den Müll müssen sie aufräumen, bevor sie in die Schlafstelle dürfen«, warf Marlene ein. Ich gab die Information an Martin
weiter, der sie aussprach.
Frau Gröbendahl strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. »Na ja, wenn die Nonnen abends die Tür aufmachen, geben sie einen
Müllsack und einen Besen heraus, damit die Penner ihren Dreck wegmachen. Aber den ganzen Tag lang liegt das Zeug da herum.«
»Haben Sie in letzter Zeit bemerkt, dass andere Leute sich für das Asyl interessiert haben?«, fragte Martin. »Nein.«
»Was war das für eine Sache mit Rolf?«, sagte ich Martin vor.
Brav gab er die Frage an Frau Gröbendahl weiter. Diese erstarrte erwartungsgemäß, errötete, strich sich hektisch mit beiden
Händen Haarsträhnen hinters Ohr und räusperte sich mehrfach. »Was hat das damit zu tun?« Martin scharrte hilflos mit den Füßen
auf der Stelle und zögerte die Antwort hinaus.
»Wer ist Rolf?«, fragten Marlene und Martin gleichzeitig gedanklich. Ich genoss die totale Verwirrung bei allen Beteiligten.
»Ihr Stecher«, rief ich triumphierend. Jetzt wurde auch Martin rot, und Marlene fragte, was ein Stecher sei.
»Frag sie, weshalb sie gestern so sauer auf ihn war«, befahl ich Martin. »Was geht mich das Privatleben von Frau Gröbendahl
an?«, fragte Martin leise zurück und äußerte sich gegenüber |67| der süßen Susi mit einem schwachen »Ähem, na ja, wissen Sie …«
Frau Gröbendahl schaute ihn abwartend an. »Das ist nicht privat«, rief ich dazwischen. Martin machte eine Bewegung, als ob
er gehen wollte. »Frag sie!«, rief ich. »Es hat mit dem Brand zu tun.« Die Gröbendahl guckte immer noch verdattert, ging aber
ebenfalls zur Tür.
»Woher weißt du das?«, fragte Marlene. »Ich war gestern schon mal hier«, erklärte ich. »Er hat die Brandstiftung praktisch
zugegeben.« Martin blieb wieder stehen. Frau Gröbendahl wartete ab, wurde zusehends unsicherer.
»Was sagen Sie zu der Aktion von Rolf …?«, fragte Martin in einem neuen Anlauf. »Ich habe nichts damit zu tun«, rief die Gröbendahl, während sie ununterbrochen
Haarsträhnen hinter die Horchbretter schob. »Aber Sie wussten davon«, hakte Martin nach, ohne genau zu wissen, um was es eigentlich
ging. Sie starrte ihn völlig entgeistert an. »Erst danach.« »Aber Sie sind nicht zur Polizei gegangen«, sagte Martin.
»Zur Polizei?«, fragte sie. Ich bekam Angst, dass ihre Ohrmuscheln sich im Verlauf des Gesprächs so abnutzen würden, dass
sie nachher aussah wie Niki Lauda. »Das Decken eines Straftäters ist selbst eine Straftat«, sagte Martin.
»Straftat?«, fragte Frau Gröbendahl in einem Tonfall, der sich verdächtig nach beginnender Hysterie anhörte. »Ich habe den
Eindruck, irgendetwas läuft hier schief«, meldete sich Marlene.
|68| »Hat er Ihnen gedroht, wenn Sie ihn verraten?«, fragte Martin.
»Gestern nicht«, bemerkte ich korrekterweise. »Was soll ich denn verraten?«, fragte die inzwischen völlig aufgelöste Suse.
»Es stand doch alles in der Zeitung.«
Martin starrte sie wortlos an, Marlenes elektromagnetische Wellen bildeten ein einziges großes Fragezeichen, und selbst ich
riffelte so gar nicht, wovon die Dame des Hauses sprach. Das versuchte ich aber, so gut es ging, zu verbergen. Frau Gröbendahl
stand auf, nahm einen Ordner aus einem Regal, schlug ihn auf und legte ihn vor Martin auf den Tisch.
ANWOHNER GEGEN OBDACHLOSENASYL lautete die Überschrift neben einem Foto von »Rolf zum Berg, Mitglied der Nachbarschaftsinitiative
Mariental«, wie die Bildunterschrift verkündete. Zu dritt hingen wir über dem Artikel und lasen das Interview, in dem der
schöne Rolf über falsch verstandene Nächstenliebe, Sozialschmarotzer und das Abschieben eines innerstädtischen Problems in
eine
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