Im Labyrinth der Abwehr
Angaben darüber, welche epidemisch auftretenden Krankheiten sich am wirksamsten auf die Zahl der Sterbefälle auswirkten; medizinische Ratschläge darüber, welche Vorsichtsmaßnahmen vom Personal zu beachten waren, um eine Infektion zu vermeiden; eine Lagerspeisekarte, die dazu bestimmt war, die Kräfte der Häftlinge zu erhalten, und eine besondere Hungerration, die auf das Reich und das die Lagerwirtschaft belastende Kontingent zugeschnitten war.
Es gab einen Befehl, daß der Zutritt zu besonderen Lagerblocks, in denen wissenschaftliche Forschungen und Versuche auf medizinischem Gebiet angestellt wurden, für unbefugte Personen verboten war. Jede Veröffentlichung der Methoden dieser Versuche wurde strengstens bestraft.
Diese Materialien gab man allerdings keinem der Soldaten in die Hand. Er hatte sie im Beisein eines Offiziers lediglich durchzulesen.
Major Steinglitz bewohnte eine kleinere Villa gemeinsam mit Hauptmann Oskar von Dietrich, mit dem ihn seit langem eine Bekanntschaft verband, die fast eine Freundschaft war. Fast, denn es lag nicht in seinem Charakter, sein Leben durch nahestehende Freunde zu belasten, wer immer sie auch sein mochten.
Dietrich entstammte einer angesehenen Aristokratenfamilie. Er hatte nicht nur eine militärische Bildung, sondern auch eine umfangreiche humanistische Erziehung erhalten und riskierte es, unter die Definition des Führers zu fallen: „Die Intelligenz — das ist der Abfallhaufen der Nation." Doch nichts drohte Hauptmann von Dietrich, dem führenden Mitarbeiter der Abteilung III-Z — der Abteilung für Spionageabwehr.
Steinglitz arbeitete in der zweiten Abteilung — Abteilung II-Z für Diversion, Sabotage, Terror. Für ihn war der Sonderdienst eine Art Beruf — nicht mehr. Das erstrebenswerte Ziel war für ihn die persönliche Bereicherung aus dem Fonds für ausländische Valuta zur Bezahlung der Agenten.
Für Oskar von Dietrich war diese Arbeit nicht einfach nur Dienst oder Beruf. Er fand in dieser Tätigkeit die Verkörperung seiner Hoffnungen, Überzeugungen und Ideale, des Übermenschen, der Macht über Menschen erhielt. 'Er war Herr des wollüstigen Spiels mit Menschenleben, des leidenschaftlichsten aller Spiele.
In seiner Jugend hatte er nicht wenig Denunzierungen schlucken müssen. Wegen seiner krankhaften Schüchternheit im Umgang mit Frauen wurde er lange vom spöttischen Mitleid seiner Altersgenossen verfolgt.
In der Kriegsschule erwarb er sich einen Gönner in der Person des Fechtlehrers, der die Kadetten zwang, sich Oskar gegenüber ehrerbietig zu verhalten.
Auf irgendeine Art und Weise erfuhr der Vater Oskars, ein ehemaliger Adjutant des Kaisers, von der allzu intimen Freundschaft mit dem Fechtlehrer. Zwischen Vater und Sohn kam es zu einer heftigen Aussprache, in deren Verlauf der Vater dem Sohn den monatlichen Wechsel sperrte.
Um nicht Not zu leiden, stahl Oskar wertvollen Familienschmuck. Und obgleich der Diebstahl von der Familie Dietrich nicht publik gemacht wurde, trug Oskar lange an seiner Demütigung.
Nach Beendigung der Kriegsschule nützte Dietrich geschickt die Protektion seines Vaters für seine Dienstlaufbahn, trat in die Abwehr ein und wählte die dritte Abteilung deshalb, weil er hier die unbegrenzte Möglichkeit hatte, andere für seine erlebten Demütigungen zu erniedrigen.
Allmählich entwickelte sich Oskar von Dietrich zu jenem besonderen Typ des Spionageabwehrmannes, der bei Canaris so angesehen wär. Admiral Canaris war der Ansicht, daß die Spionageabwehr nicht eine Art von Sonderdienst, sondern eine nur wenigen Auserwählten zugängliche Weltanschauung sei.
Die großen Namen aus dem Generalstab der Wehrmacht, alle Männer aus der nächsten Umgebung Hitlers waren in der Geheimkartei Canaris' durch eine Enzyklopädie von Bluttaten vertreten, die in der Weltgeschichte nicht ihresgleichen hatten. Und Canaris träumte davon, irgendwann einmal jedem einzelnen dieser Leute das entsprechende Schriftstück vorzulegen, in der Hoffnung, sie würden sich von ihm loskaufen, würden ihm einen Platz an der Spitze jener Pyramide überlassen, die sie bildeten.
Er ging vorsichtig zuwege, weil er wußte, daß der Führer befürchtete, Canaris könnte zuviel Macht im Dritten Reich an sich reißen. Er konnte sich nicht entschließen, diese mächtige Gewalt der Spionage in die Hände eines Mannes zu legen, und verteilte sie deshalb auf viele Organisationen.
Canaris war keineswegs beleidigt, er begann nur noch vorsichtiger zu Werke zu
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