Im Labyrinth der Abwehr
diese Art und Weise meinen Gläubiger loswerden wollte."
„Tatsächlich?"
„Unbedingt. Viele schafften sich ihre Gläubiger vom Hals, indem sie sie bei der Gestapo denunzierten."
„Hat man nur Juden denunziert?"
„Woher denn! Alle, denen man seine Schulden nicht zurückzahlen wollte."
Mit Stolz sagte Paul:
„Die Reis' waren alle Böttcher, unsere Vorfahren waren sogar in der Zunft. Keiner von unsrer Familie hat sich jemals eine Unehrlichkeit zuschulden kommen lassen."
„Das heißt, wenn Sie dem Arzt kein Geld geschuldet hätten, so hätten Sie nicht daran gedieht, ihn zu verstecken?"
Paul antwortete ausweichend:
„Wir waren zwei Brüder — ich und der Gustav. Gustav war der Ältere. Er war Lehrer. Als der Vater merkte, woher der Wind wehte, befahl er einem von uns, Nazi zu werden. Ich war der Jüngere, ich mußte gehorchen."
„Und dein Bruder, er brauchte wegen der Firma nicht in die Partei zu gehen?"
„Er ist während der Ardennen-Offensive gefallen."
„Du bist also irgendwie aus dem Schlamassel rausgekommen", schlußfolgerte Weiß.
„Ja", sagte Paul. „Ich habe Glück gehabt. Aber umsonst ist nichts. Ich habe mich verpflichten müssen zu heiraten."
„Wen?"
„Unsere Wehrmachtshelferin aus der Hilfseinheit. Sie hat mich aus einer Marschkompanie hierhergeholt. Ich verdanke ihr viel."
„Oh, die kenne ich."
„Ich bin keiner von den Eifersüchtigen", beeilte sich Paul zu versichern. „Sie ist eine Frau, die einen klugen Kopf und Charakter hat — und das ist für das Familienleben die Hauptsache."
Die Fähigkeit, Bekanntschaften mit den verschiedensten Leuten anzuknüpfen, bereicherte Johann um die Kenntnis der Umwelt, in der er sich befand. Er überzeugte sich davon, daß es nützlicher war, sich als ein Mensch auszugeben, der von irgend etwas zu überzeugen war. Ein naiver Einwand spornte den Eifer des Gesprächspartners mehr an als ein gedankenloses dem anderen Zum-Munde-Reden. Er war ein guter Zuhörer, bemühte sich, anderen kleine Gefälligkeiten zu erweisen und nahm bereitwillig jede Arbeit an.
Eines Tages geriet der Vater der Braut von Paul Reis unter einen Lkw. Man brachte ihn zur Sanitätsabteilung, und seine Tochter bat Johann, vorübergehend die Arbeit auf dem Hof zu übernehmen, um dem Vater den Posten zu erhalten.
Anfangs kehrte Johann nur den Hof, bestreute die Wege mit Kies, kalkte die Prellsteine am Straßenrand. In einer kurzen Leinwandschürze, mit Besen und Handschaufel begann er mürrisch und irgendwie beleidigt nicht nur den Hof, sondern« allmählich auch die Innenräume der Kommandantur und die Postengänge zwischen den einzelnen Sektoren aufzuräumen.
Bald hatten sich die Wachposten an Weiß gewöhnt. Und als die Wehrmachtshelferin ihm die Erlaubnis verschafft hatte, Kies aus dem ziemlich abgelegenen Steinbruch zu holen, hatte er die Möglichkeit, nicht nur zwischen den einzelnen Sektoren hin- und herzuwechseln, es fiel auch nicht auf, wenn er abwesend war.
Als er im Seitengebäude saubermachte, in dem die Männer in den buntgewürfelten Uniformen wohnten, fand er seine Vermutung bestätigt, daß sich diese Leute für einen Einsatz in der Sowjetunion vorbereiteten. Er entnahm es aus herumliegenden Aufzeichnungen und Vorlesungsmitschriften. Aus verschiedenen Merkzetteln, die sie vor dem Auswendiglernen benutzt hatten, konnte er sogar das Gebiet ihrer vermutlichen Tätigkeit feststellen.
Johann kam sich vor wie ein Mensch, dem unversehens ein Schatz in die Hände gefallen ist.
Als er mit dem Lkw nach Kies fuhr, suchte er sich auf der Fahrt einen als Versteck gut geeigneten Platz und vergrub auf dem Rückweg beim Telegrafenmast mit der Nummer 74/0012 in einer Konservendose, die luft- und wasserdicht verpackt war, seine ersten Aufzeichnungen aus der Zeit seines Aufenthalts zusammen mit einigen Zeichnungen von Diversanten.
Die Nummer des Telegrafenmastes teilte er Bruno in einem an Frau Ditmar gerichteten Brief mit.
So nahm er Verbindung auf. Die Zeit der Einsamkeit, des quälenden, hoffnungslosen Wartens war vorbei. Er wurde zuversichtlich und ruhig.
Und dennoch beging er einen Fehler.
Einige Zeichnungen von Terroristen bewahrte Johann in einer Abzugsöffnung der Garage auf. Eines Abends hatte er sie ein letztes Mal gemustert, da er sie am folgenden Tag in das Versteck am Telegrafenmast bringen wollte, und dabei entdeckt, daß die Zeichnung des Mannes, den die Diversanten „Chrjatsch" nannten, durch das Kniffen sehr gelitten hatte. Johann beschloß, die
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