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Im Labyrinth der Fugge

Im Labyrinth der Fugge

Titel: Im Labyrinth der Fugge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Abe
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an und hielt ihrem Blick stand. Sie spürte noch den Druck des Rings und die rauen Finger auf ihrer Hand. Sie waren gleich groß, obwohl Philipp bereits vierzehn war und noch wie ein Junge aussah, was er mit seiner Kleidung und seinem Gehabe zu verdecken suchte. Sogar seine Stimme war noch unverändert hell. Würde Octavian nicht bedingungslos zu seinem Bruder halten, könnte Anna versuchen, den mageren Philipp umzupusten.
    »Vaters Oheim hatte doch auch so eine … eine …«, sagte Octavian.
    »So eine was?«, fragte Philipp gereizt.
    »Oheim Christoph hat davon erzählt, bei der Beerdigung«, ergänzte Octavian.
    Philipp drehte sich zu seinem Bruder. Diesmal grinste Anna, bei Oheim Christoph vergaß Philipp alles.
    »Das habe ich auch gehört«, mischte sich Sidonia ein. »Er hat von einem Buchhalter erzählt, der krumme Geschäfte in der Faktorei macht und das alles hätte diese Hellseherin in ihrer Kristallkugel gesehen. Auf diese Art überwachte Vaters Oheim Anton seine Arbeiter.«
    Philipp pfiff durch die Zähne. »Nicht schlecht. Und wer erbt diese Kristallkugel?«
    Sidonia zuckte mit den Schultern.
    Zu gern hätte Anna gewusst, was Philipp sich jetzt ausmalte. Sie litt darunter, dass er sich ihr gegenüber immer mehr verschloss. Früher waren sie Vertraute gewesen. Als er noch die Buchstaben verwechselte und Magister Weißfuß ihn schalt, übte Anna heimlich mit ihm, weil sie das Lesen schneller begriffen hatte als er. Und nur an ihrer Hand traute er sich ins Gartenlabyrinth, aus Angst vor Mäusen und anderen Ungeheuern. Tagsüber liebte er den Garten, wühlte in der Erde und sorgte dafür, dass die Labyrinthhecken immer gestutzt wurden und man über die Reihen spähen konnte. Doch seit er von seinem Studium aus der Schweiz zurückgekehrt war, beachtete er sie kaum mehr, verriet ihr auch nicht, was der Professor für Poesie an der Hochschule lehrte. Als Erbfolger begleitete er Vater in die ›Goldene Schreibstube‹ des Stadtpalasts, wo seit Jahrhunderten die Geld- und Handelsgeschäfte der Familie in aller Welt beschlossen wurden. Noch gab es keinen würdigen Nachfolger, wie es die Vorfahren Jakob und Anton gewesen waren. Die Söhne und Neffen, wozu Annas Vater Georg auch gehörte, wollten das Handelsimperium nicht weiter regieren. Sie unterstützten Oheim Marx, der mit Muhme Sibylla im Stadtpalast wohnte und als ältester Sohn des verstorbenen Anton gezwungen worden war, die Geschäfte zu führen. Zugleich übernahm er damit die Verantwortung für die Schulden sämtlicher Herrschaftshäuser, von Spanien bis in die Niederlande. Zu gern hätte Anna auch an den Verhandlungen teilgenommen. Sie schnappte nur gefilterte Gesprächsfetzen beim Essen auf oder hörte dem Getuschel der Diener zu. Mutter ließ die Kleideranordnungen abändern, wenn ein Herrscher zahlungsunfähig geworden war, und folglich war im Hause Fugger fortan verpönt, was an dessen Hof getragen wurde.
    »Geholfen hat es Vaters Oheim aber auch nichts«, sagte Octavian aus der Ecke und holte Anna wieder aus ihren Gedanken.
    »Warum nicht?«, fragte Virginia.
    »Na, weil Anton gestorben ist, oder wen haben sie sonst in die Gruft gelegt?«, fuhr sie Philipp an.
    Die restliche Fahrt schwiegen sie, Mechthild schlief auf Annas Schoß ein, schmiegte ihr verschwitztes Köpfchen an ihrem Hals. Die Alte hatte sich bestimmt einen Scherz erlaubt, grübelte Anna. Kein Mensch konnte bestimmen, wann ein anderer zu sterben hatte.

5. Das Seherauge
    Nachdem sich Kellenbenz mit fauchenden Flüchen den Gumpelzhaimernachlass abgewischt hatte, zog er eine dunkle Schaube über sein Wams und suchte in der Werkstatt nach dem Strohhut mit der breiten Krempe, den ein Geselle hier vergessen hatte. So verborgen, hoffte er, wegen des Aufstands, den er am Vortag auf dem Perlach erzeugt hatte, nicht gleich wiedererkannt zu werden. Er musste und er würde Bianka finden. Wenn sie nicht auf dem Pestberg eingeschlafen war, saß sie vielleicht bei dieser Huckerin und aß irgendwelche Spezereien, oder sie suchte nach dem Turamichele im Perlachturm. Und wenn er sie nicht fand, würde er jeden fragen. Nur wie? Die Nonne im Blatternhaus, die ihn für einen verwirrten Bettler gehalten hatte, fiel ihm wieder ein. Wie sollte er sich verständlich machen? Er setzte sich auf die Ofenbank und zermarterte sich das Hirn. Wenn er nur seine gotteslästernde Zunge besser im Zaum gehabt hätte, wäre alles anders gekommen. Dann könnte er sich durchfragen, jedem Misstrauen freundlich begegnen.

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