Im Labyrinth der Fugge
Er wäre kein Geächteter, den man am liebsten aus der Stadt haben wollte. Aber so hätte er den Auftrag mit Wasti nicht bekommen. Seine Verschwiegenheit schien der Grund gewesen zu sein. Sein Blick fiel auf Biankas Holzpuppe, die er ihr geschnitzt hatte. Die Puppe trug ein rotbraunes Pelzstück auf dem Kopf, das Biankas Haarfarbe ähnelte. Das Kleid hatte Bianka aus einem Stoffrest ihres Kittels selbst genäht. Hatte ihr das die Gumpelzhaimerin gezeigt? Kellenbenz stellte die Puppe auf den Tisch, an den Platz, an dem Bianka immer saß und verließ das Haus. Er musste sie auch ohne Worte finden!
Der Michaelitag begann mit einem kühlen nebligen Herbstmorgen. Er stapfte durch das noch schlafende Augsburg zum Pestberg und fand die Mulde unter der Kiefer, in der er Bianka vor seinen Auftraggebern versteckt hatte. Als hätte ein Tier frisch gescharrt, lagen in dem Erdloch die Wurzeln frei. Kellenbenz tastete darin herum, suchte noch die Wärme des Kindes. Bianka war viel zu leicht angezogen gewesen. Sie trug nur ihr ungebleichtes Leinenhemd und die rindsledernen Schuhe und fror bestimmt. Gleich würde sie fröstelnd, aber lachend hinter den Hagebutten hervorkriechen, dann würde er sie in seine wollene Schaube wickeln und heimtragen. Doch es blieb still auf dem Totenhügel. Sollte das hier sein Ende sein, sollten alle seine Lieben hier verschwinden? Eine traurige Melodie setzte sich in seinem Kopf fest, immer wieder von vorn. Er lauschte, bis er merkte, dass es ein kleiner gelber Vogel war, der in der Kiefer dicht über ihm hockte und sang. Kellenbenz hob einen Stein auf und warf den Vogel vom Baum. Mit den Füßen nach oben und zuckender Kehle lag er in der Mulde und starrte Kellenbenz an. So einen Vogel hatte er noch nie gesehen, so leuchtend gelb, dass es in den Augen schmerzte. Er musste einem ausländischen Händler vom Markt entwichen sein, wie diese seltsame Frucht, die Bianka gegessen hatte. Hoffentlich hatte sie keine Bauchschmerzen bekommen und lag vergiftet irgendwo! Mit dem Bundschuh zertrat er den Vogel.
Weitersuchend rannte er auf dem Pestberg umher, stieß mit der Nase auf den Boden und schob sich zwischen den Büschen vorwärts wie ein Hund. Er schreckte eine Horde Ratten auf, die quietschend auseinanderfuhr und ihre Beute zurückließ. Ein Kind? Doch sie hatten nur irgendwelche Knochen ausgegraben. Erschöpft hockte er sich nieder, nahm den Hut ab und fuhr sich durchs Haar. Kiefernnadeln und Dornen der Hagebutten hatten sich darin verfangen. Er zog sie heraus, wollte sie abstreifen und hielt das Lederband mit Biankas Äffchenanhänger in der Hand.
Wahrscheinlich war sie auf den Markt zurückgelaufen und hatte sich verirrt. Wenn er wenigstens lesen und schreiben könnte, würde er sich mit einer Tafel um den Hals durchfragen: Wer hat mein Kind Bianka gesehen? Er knüpfte sich das Lederband mit dem Affen ans Handgelenk.
Am Barfüßertor drängten sich die Fuhrwerke mit den letzten Lieferungen für die Dult. Beladene Venezianer, Spielleute mit wunderlichen Instrumenten und Käfige mit exotischen Tieren. Ob einem von ihnen der kleine gelbe Vogel ausgekommen war?, fragte sich Kellenbenz. Vorbei an den Läden der Barfüßerbrücke stapfte er den Perlachberg hinauf, zog sich den Hut tief ins Gesicht und drückte sich um den Stand der Huckerin herum. Er versuchte zwischen ihre ausgebreiteten Viktualien zu spähen, ob irgendwo ein Kind hockte.
»Gott lässt den Bösen freie Hand«, rief die Huckerin plötzlich. Sie wedelte über ihre Auslagen, griff der Patrizierin, die sich gerade von ihrem Stand abwenden wollte, an den geschlitzten, bauschigen Ärmel.
Kellenbenz trat unter das kupferne Dach, hinter ein großes Fass und lauschte.
»Seht, da ist die Stelle, wo gestern der Leibhaftige herausgefahren ist.« Die Huckerin zwang die Frau stehen zu bleiben, lehnte sich über ihre Auslagen, zerdrückte mit ihrem mächtigen Busen ein paar Wachteleier und deutete aufs Pflaster. Dort lag noch ein Rest des ausländischen Apfels, den Bianka gestern gegessen hatte, mehr grau als rot und gänzlich platt getreten.
Die vornehme Dame entwand sich dem Huckergriff, zupfte ihren Ärmel wieder zurecht und sah hinüber. »Der Pflasterstein glimmt ja tatsächlich noch«, sagte sie und ließ den Mund offen stehen.
Die Huckerin schnaubte triumphierend, kehrte die winzigen Eierschalen mit einer schnellen Handbewegung unter die Theke. Sie öffnete ein Fläschchen und hielt es der erbleichten Frau unter die Nase. Ein Hauch
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