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Im Labyrinth der Fugge

Im Labyrinth der Fugge

Titel: Im Labyrinth der Fugge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Abe
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Werkstatt, öffnete die Bottiche und rührte darin herum, kippte Laugen aus und zerlegte seine Gerätschaften. Nichts und nirgends fand er eine Spur. Auch in der Stube, auf dem Abtritt und in der Schlafkammer durchkämmte er die staubigen Winkel. Schließlich kauerte er sich auf die Ofenbank, angezogen und ein Bein am Boden, bereit, bei dem kleinsten Geräusch aufzuspringen.
    Er beschloss bei Tagesanbruch wieder auf den Pestberg zu gehen und alles noch mal abzusuchen. Irgendwo musste sie sein. Seine Kleine, welche Ängste stand sie gerade aus? Sein Herz krampfte sich zusammen. Sollte er die Nachbarn um Hilfe bitten? Viele Augen sahen mehr. Gemeinsam würden sie ganz Augsburg durchwühlen. Die Vorstellung, dass eine große Gruppe Gerber, Weber, Zimmerer und Goldschmiede wie der Pöbel beim letzten Bauernkrieg durch die Stadt zog, diesmal nicht plündernd, brandschatzend und mordend, sondern nach einem fünfjährigen Kind fragend und suchend, beruhigte sein Herz wieder um einige Schläge.
    Doch abgesehen davon, dass er die Nachbarn nicht mit Worten um den Gefallen bitten konnte, wäre auch keiner von ihnen bereit, wegen eines Kindes die Arbeit zu unterbrechen.
    »Hier, Kürschner, nimm eines von meinen Bälgern oder auch zwei, wenn du willst«, würden sie sagen. Nachbarn!
    Auch vor seiner Ächtung hatte er keine Freunde gehabt, hockte nur ab und zu mit den immergleichen Wirtshauskumpanen zusammen, die im Halbdunkel der Beize kaum Gesichter hatten. Manchmal war er mit dem Gumpelzhaimer heimgetorkelt. Aber der war lange tot, einfach so, eines Abends auf dem Wirtshaustisch zusammengesackt und nicht mehr aufgewacht. Damals hatte Margit noch gelebt und stand der Gumpelzhaimerin von schräg gegenüber in ihrer Trauer bei.
    Die Turmuhr von St. Moritz schlug vier Mal. Heute begann die Michaelidult auf dem Perlach. Es würde doppelt schwer sein, Bianka in dem Gewühle zu finden. Kellenbenz drehte sich auf die Seite und wollte die Bundschuhe von den Füßen streifen. Die Nachbarin, die Gumpelzhaimerin! An sie hatte er noch gar nicht gedacht. Er erhob sich wieder. Sicher war Bianka zu ihr gelaufen! Die Witwe war kinderlos und verdiente sich ihr Brot durch Plätten für die Reichen. Wenn Kellenbenz Pelzwerk in der Stadt auslieferte, durfte Bianka manchmal zu ihr. Er raffte sich auf und lief zu ihrem kleinen Haus, das sich zwischen die Gerberhäuser mit ihren ausladenden Speichern zwängte. Er klopfte lange und drückte ein Ohr an die Tür. War da nicht ein Knarzen auf der Treppe? Er bumperte erneut und hoffte, sie würde durchs Fenster spähen und ihn erkennen. Obwohl die Gumpelzhaimerin eine mürrische alte Frau war, schien sie sich über die Besuche seiner Tochter zu freuen. Aber dies war alles tagsüber gewesen, nie nachts. Ihm blieb nichts anderes übrig, als zu miauen. Endlich öffnete sich oben eine Luke.
    Er legte den Kopf in den Nacken und wollte in die Dunkelheit zu ihr hinaufrufen: »Kkkeee…bbb…«, war alles was er herausbrachte und »Ia –ka.« Er miaute noch mal laut und hoffte die Gumpelzhaimerin würde Biankas liebstes Spiel kennen. Ein Schwall stinkendes Nass traf ihn. Sie hatte den Nachttopf über ihm ausgeleert.
    »Scheißkater, hau ab«, brüllte sie noch, bevor sie das Fenster wieder verriegelte.
    Die Fäkalien mischten sich mit seinen stummen Flüchen. Er schleppte sich ins Haus zurück.

4. Das Turamichele
    Anna verschwieg ihrer Mutter, dass mit einer Kutsche auf dem Michaelimarkt kein Durchkommen war. Sie steckten dem Kutscher einen Gulden zu, hießen ihn zu warten und stiegen in der Judengasse aus. Ihre ältere Schwester Sidonia und ihre ein Jahr jüngere Schwester Virginia nahmen je ein Geschwisterkind an der Hand. Die Jüngste, die zehn Wochen alte Maria, war bei der Amme zu Hause geblieben. An diesem Tag fielen die Fuggerkinder nicht mal durch ihre vornehme Kleidung auf. Alle Schichten, von zerlumpt, barfuß, halbnackt bis edel gewandet, drängten sich auf dem großen Marktplatz zwischen Rathaus und Metzgerhaus. Zu jeder vollen Stunde sammelten sich die Kinder vor dem Perlachturm.
    Wie aus einem Mund, von Glockenschlag zu Glockenschlag lauter werdend, zählten die Augsburger Kinder mit: »Eins, zwei, drei, vier …«, sahen gebannt zum Turamichele hoch, das auf das Wesen, halb Drache, halb Teufel, bei jedem Glockenschlag mit der Lanze einstach.
    »… vier, fünf, sechs, sieben, acht …«, riefen die Fuggerkinder und die Kinder der Spielleute.
    »… neun …« Beim zehnten Schlag jubelten

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