Im Labyrinth der Fugge
einen Stapel Kleider, den Habit der Dominikanerinnen. Schwester Hildegard führte sie wieder in die Sakristei, dort zog sie sich aus. Nackt löste sie sich als Evas Tochter von allen weltlichen Bindungen und schlüpfte in das Brautkleid Christi. Sie bekam ein einfaches Unterkleid, darüber ein weißes Gebinde, das ihr Gesicht umrahmte und ihr Haar unsichtbar machte. Es endete in einem langen Schlauch und wurde auf dem Rücken zusammengebunden. Darauf steckte ihr Schwester Hildegard den weißen und den schwarzen Schleier. Weiß stand für Armut und schwarz für die Würde der Dominikanerin. Beide Schleier hatte Hildegard mit einigen Stichen zusammengeheftet, sodass der weiße unter dem schwarzen ringsum ein Stück hervorstand.
»Willkommen, Schwester Anna!« Wieder im Kapitelsaal umarmten und küssten sie die Nonnen. Auf den Verbleib ihres weltlichen Namens hatte sie bestanden, sie wollte Anna sein, mit oder ohne Schleier.
Die Priorin überreichte ihr die Professurkunde und besiegelte so ihren Entschluss, ins Kloster einzutreten.
»Und das hier, Schwester Anna, soll ich Euch von Eurem Vater geben.« Ein kleines Buch, gebunden in rot gefärbtes Leder.
4. Der Handspiegel
Liebste Anna,
ich hoffe, Du hast meinen Brief bekommen? Ich übe fleißig, seit ich letztes Jahr mit dem Schreiben begonnen habe. Aber mit Feder und Tinte lässt sich schwerer ein Kringel schließen, als mit Armbrust und Pfeil ein Ziel treffen. So wunderst Du Dich vielleicht, wieso ich so schnelle Fortschritte gemacht habe. Unter uns: Mein Diener schreibt für mich, und nur Du kannst überprüfen, ob er es fehlerfrei macht. Er ist geübt in Liebesdingen und manche Wendung stammt von ihm, muss ich dir gestehen. Alles, was ich dir aus meinem Herzen sagen kann, habe ich dir in meinem ersten Brief geschrieben, es gilt, für immer.
In Liebe, Heinrich
Auch diesen Brief schob sie in ihr Stundenbuch, das Professgeschenk ihres Vaters. Es enthielt ihre Kinderzeichnungen in allen Größen, teils aufgeleimt, teils für die Bindung zurechtgeschnitten. Ihre Bilder, die sie jahrelang in den Nischen der Bibliothek durch die Schießscharten nach draußen flattern ließ. Vater hatte sie alle aufgehoben und gesammelt. In den zweiten Teil des Buchs waren ihre schwarz gefärbten Seiten hineingebunden. Sogar ein Stück ihres zerbrochenen Handspiegels mit der verschnörkelten Verzierung am Rand hatte er eingeklebt. Das Äffchen Donna war so erschrocken, als es sich, kurz vor ihrer Abreise ins Kloster, im Spiegel selbst erblickte.
Ihr Stundenbuch, das Buch ihres Lebens.
»Anna, Besuch für dich.« Der Goldschmied namens Hörmann betrat das Skriptorium und brachte Anna frische Ziegenpergamente vom Pergamentmacher aus der Stadt. Für sie war er als Mann, noch dazu in ihrem Alter, ein alltäglicher Anblick. Er wohnte neben dem Kloster und belieferte die Schwestern mit Kirchenschmuck und Anna mit Werkstoffen. Obwohl er bekennender Anhänger Luthers war, durfte er die Klausur betreten. Sein Geplänkel jedes Mal mit der an die sechzig gehenden Priorin diente mehr der Unterhaltung aller.
»Ich wurde nun mal nicht als Täubchen geboren oder als Ratte, Schwester Susanna, sondern als …, als geschickter Handwerker«, pflegte er zu sagen, wenn ihn die Priorin ermahnte, seine Besuche einzuschränken oder die Waren an der Pforte zu hinterlegen. Er zog ein Silberkettchen aus dem Säckel und steckte es Susanna zu, die, wenn auch zittrig vom ersten Messwein, aber noch nicht blind für jede Art Prunk war. Diese Mitbringsel verschlossen eine Weile ihren Mund und der Goldschmied erheiterte die anderen Schwestern und Novizinnen mit seinen Scherzen und Geschichtchen von der Welt draußen. Am meisten lachte Bianka. Er begleitete sie auf dem Weg zu ihren Krankenbesuchen, denn selbst eine Laienschwester sollte nicht allein durch Augsburg gehen. Obwohl Bianka zu Anna niemals mit Lauten oder in Wachs gedrückten Worten etwas von Hörmann sagte, sah Anna an dem Leuchten in ihren Augen, dass sie sich keinen lieberen Geleitschutz wünschen konnte. Anna freute sich für sie.
Hörmann dagegen verlor Anna gegenüber nie ein Wort von Bianka. Sie hoffte, dass er mit ihrer Freundin nicht nur ein Spiel trieb und Weib und Kind zu Hause hatte. Deshalb fragte sie ihn, wie er sich mit Bianka verständigte, schreibend oder von den Lippen lesend?
»Mit den Augen und Fingern«, sagte er und begann hastig einen Vortrag über die Gewinnung von Rottönen zu halten. » In der Bibel steht was von der
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