Im Labyrinth der Fugge
Scharlachbeere, aber in Wirklichkeit ist es ein Tier, das uns die rote Farbe liefert. Wie der Gallusapfel lebt die Kermeslaus auf einer Eiche im Orient. Deshalb ist Purpur so kostspielig, weil man tausende von diesen stecknadelgroßen Tierchen einsammeln und trocknen muss, um damit färben zu können. Aber in Neuindien haben die Spanier eine ertragreichere Lausart entdeckt …«
»Bitte, seid gut zu Bianka«, unterbrach ihn Anna schmunzelnd. »Und übrigens könnte man aus Eurer Hautfarbe auch gerade einen Rotton herstellen, Meister Hörmann.«
»Habt Ihr Wachs in den Ohren, Schwester Anna?«, rief Hörmann.
Anna sah wütend von ihrem Stundenbuch auf. Über diesen Scherz konnte sie nicht lachen.
»Ihr habt Besuch im Empfangszimmer, soll ich Euch von der Priorin sagen.«
»Von wem?« Anna stand auf. Welcher geistliche Würdenträger würde sie heute um eine ausschweifende Ausschmückung seines Psalters bitten. Seit sie Buchmalerin war, hatte sie schon Kannibalen und Bestiarien in fromme Manuskripte gezeichnet.
»Kein Mann der Kirche, irgendein Patrizier mit Goldbart wartet am Sprechgitter.«
Ein Mann mit gelichteter Stirn, in zwei Locken gedrehtem Bart, Halskrause und Goldhaube fläzte sich im Lehnsessel. »Oheim Christoph?«
Ein geckerndes Lachen erklang.
Anna trat näher.
»Alt und hässlich bist du geworden, kommt das vom vielen Beten?«
In Aussehen und Gerede hatte Philipp es tatsächlich geschafft, ein Abbild des Oheims zu werden, nur die eng stehenden Augen unter den schwarzen Brauen waren die eines Buben geblieben. Er klopfte mit beringter Hand auf die Sessellehne. Die schlichte Holzbank im Empfangszimmer genügte ihm wohl nicht.
Anna setzte sich ihm gegenüber und war zum ersten Mal dankbar für das trennende Gitter. Bei Marias Begräbnis hatten sie sich das letzte Mal gesehen. Anna war noch eine Contessa gewesen und er der Erbfolger der Fugger.
Mit langen, bläulich weißen Fingern kraulte er sich den Bart, einer durchsichtigen Spinne gleich, die ihre klebrigen Beine in einer fließenden Bewegung ausfuhr und einzog. Sie unterdrückte ein Grinsen bei seinem Gehabe.
»Schön warst du noch nie. Die Mitgift für eine Heirat wäre tatsächlich teurer geworden, als dich hier unterzubringen. Aber sag, wer hat dir die Nase zerschlagen? Oder gehört das zu eurem Züchtigungsritual, um die Lust zu bändigen?«
Im Spiegelstück ihres Stundenbuches sah sie nicht mehr als eine Kerbe auf ihrem Nasenrücken, die von ihrer Verletzung geblieben war. Dass er die überhaupt durch die achteckigen Löcher im Gitter erspäht hatte … »Was treibt dich her?«, fragte sie schroff.
»Oheim Christoph ist tot.«
»Ach, und da bist du gleich in seine Schaube geschlüpft und her geeilt.«
»Ist dir noch immer keine Demut beigebracht worden?«
»Demut vor wem, vor einem Mörder?«
Philipp zuckte zusammen und zog die Augenbrauen hoch.
Anna wusste selbst nicht, warum sie das sagte, aber es tat gut, es nach so langer Zeit, auszusprechen. »Weiß deine Frau, dass du Heinrich von Ortenburg ertränken wolltest?«
»Ach das«, Philipp entspannte sich wieder und schnippte einen Staubfusel von seinen Samtärmeln. »Ein harmloser Kinderstreich.«
»Für Heinrich war es das sicher nicht. Aber du bist eben so erschrocken, was hast du noch verbrochen?«
Sidonia hatte geschrieben, dass er und Octavian vor Jahren geheiratet hatten, zwei eingefädelte Ehen. Auch sie hatten also in der Liebe nichts mitzureden. Mit einer Base als Braut war Octavians Romanze in Rom gelöst worden. Hoffentlich machten die Frauen ihnen das Leben zu Hölle, aber welche Frau schaffte das schon.
»Als Vormund liegt dein Schicksal in meiner Hand.« Alle Spinnenbeine waren zu einer Faust geballt. »Ich bin der neue Regent der Familie.« Philipp lachte wieder. »Sag bloß, du hast es nie erfahren?«
»Was, dass du Christophs Alleinerbe bist? Lange genug hast du dich an ihn gehängt wie eine Zecke, vermutlich ihm sogar in der Todesstunde die Hand gehalten.« Anna sagte das nur so dahin, aber Philipp blinzelte plötzlich. »Du warst also bei ihm, als er starb?«
»Oheim Christoph hat mir mehr beigebracht als unser Vater. Die Alchimie ist Vater stets wichtiger gewesen als der weltweite Handel und die Beziehungen zur Kirche, die unsere Vorfahren aufgebaut haben. Hätte man ihn vor die Wahl gestellt, eines seiner Kinder oder einen Wurm im Glaskolben zu retten, hätte er sich für den Homunkulus entschieden.«
Insgeheim musste sie ihm beipflichten.
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