Im Labyrinth der Fugge
Männer gegenseitig vom Pferd stießen, stachen sich die Patriziergattinnen in der neuesten Mode aus.
»Schlitze und Püffe trägt man längst nicht mehr am Spanischen Hof.« Hörte Anna Sibylla näseln. Anna mochte zwar die Feinheit der glänzenden Stoffe und hatte ein Auge für Farben, aber ob ihr Kleid plissiert oder in Streifen geschnitten war, war ihr gleich. Hauptsache, man konnte sich damit bewegen und bekam Luft. Es gefielen ihr die prächtig bestickten Pferdedecken und die Rüstungen wegen der Muster der Schmiedearbeiten, oft Fabelwesen und kunstvolle Ranken. Außerdem drängten sich rund um den Fronhof die Michaelihändler in bunten Zelten, boten Süßigkeiten, Ochsen am Spieß und andere Bauchfüller feil. Über die Brüstungen der Tribünen hingen die jeweiligen Wappen der Stecher. Die Fugger, die Rehlinger, die Sulzer, die Langenmantel und wie sie noch alle hießen. Es war ein Altherrenwettkampf, bei dem die Adligen, meist übergewichtig oder gebrechlich, ihre letzten Kräfte zur Schau stellten. Das Kämpfen mit scharfen Waffen war, zu Annas Erleichterung, vom Kaiser verboten worden, seit irgendeinem Fürsten ein Lanzensplitter durchs Auge in den Kopf gedrungen war. Trotzdem fügten die vorne gepolsterten Lanzen Brüche und blaue Flecke zu. Ihr Vater würde sich zwar brüsten, aber hinter dem Rücken seiner Brüder eine Weile humpeln und stöhnen. So wäre er in der nächsten Zeit wieder recht häuslich, wie ihre Mutter es nannte, weil ihm zur Jagd reiten doch schwer fallen dürfte. Anna freute sich schon, dass er sie dann vermehrt bitten würde, ihm bei seinen alchimistischen Experimenten zu helfen.
Mit Pfauenfedern an Helm und Pferdedecke hatte sich ein Reiter auf der anderen Seite des Platzes aufgestellt. »Gegen wen kämpft Vater eigentlich?«
Sidonia zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung.«
Ihre schöne Schwester beachtete den Reiter gar nicht, sondern zupfte an ihren Haaren und spähte zum Ritterzelt hinüber.
»Hört, hört, meine Damen und die wenigen Herren, die der Zwiebisl zwackt und die sich nicht mehr selbst ins Kampfgetümmel stürzen können.« Ein bunt gekleideter Narr sprang mit Pritsche und Schellenschärpe vor den Tribünen auf und ab. Einige Zuschauer zischten, mahnten die anderen zur Ruhe.
Der Narr zwirbelte seine langen Kapuzenohren. »Hossa, wie hat unser wohllöblicher Graf Fugger nur dieses Jahr wieder in seine Rüstung gepasst? Anscheinend ist er mit dem Bierbrauen vorangekommen und hat vom süßen Malz allzu viel selbst abgeschmeckt. Die Frage ist nur, wie er wieder herauskommt aus dem Blechle. Da lob ich mir Graf Ortenburg, bei ihm mussten sie noch ein paar Schrauben eindrehen, damit er auf dem Pferd bleibt. Viel eher hat er dagegen Schwierigkeiten, die Stange zu halten.« Der Narr hüpfte hoch und ließ seine Schellen erklingen. »Wohl nicht immer«, er hielt sich die Pritsche zusammengefaltet vor den Unterleib. »Aber was? Ein Söhnchen nur? Hoch lebe Graf Fugger, jedes Jahr eins oder zwei von den Bälgern, so schnell kann man gar nicht rechnen, wie der Georg bei der Stange ist.« Er fächerte langsam die Pritsche auf.
Ein kleiner Junge, kaum älter als Albert, genauso blaugrün gekleidet wie Graf Ortenburg, lief zu dem hageren Ritter, kletterte wie ein Kleiber am Steigbügel hoch und schlug einen Purzelbaum auf dem Pferdehintern. Das kleine Barett, das er getragen hatte, segelte samt Pfauenfeder in den Staub. Der Junge verneigte sich vor den Zuschauern und stellte sich hinter dem Grafen, seinem Vater vermutlich, auf.
Der Narr rannte unter dem Absperrungsbalken durch, hob dem Jungen die Kappe auf, kam zurück und rief, etwas außer Atem: »Doch will es Graf Ortenburg allen zeigen, seine Stange ist mächtig, hoho, meine Damen, aber mir scheint, sie ist innen hohl.« Ein Knappe trug die Lanze herbei, die um einiges länger als die ihres Vaters war. Der Ritter klemmte sie sich unter den Arm, hielt sie waagrecht von sich gestreckt, der kleine Junge setzte sich darauf. Der Reiter gab dem Pferd die Sporen und Anna staunte. Der Junge schwankte einen Augenblick, rutschte bis vor den Pferdekopf, drohte herabzufallen, klammerte sich dann aber fest. Graf Ortenburg ritt einmal vor und hinter dem Dill entlang, wie die hölzerne Barriere in der Mitte des Platzes genannt wurde. Auf der anderen Seite nickte er Georg Fugger zu und trabte zurück.
»Von wegen hohl, meine Damen, da ist allerhand drin, zumindest Schmalz«, geckerte der Narr. »Aber leider schon vergeben, denn wie
Weitere Kostenlose Bücher