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Im Labyrinth der Fugge

Im Labyrinth der Fugge

Titel: Im Labyrinth der Fugge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Abe
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war schmerzverzerrt, der lange Schnurrbart klebte ihm auf den Wangen. Er schien so alt wie Annas Vater zu sein, schüttelte seinen grauen Zopf und wendete sein Pferd für die zweite Runde.
    Wieder galoppierten sie aufeinander zu. Diesmal spritzte Blut. Anna begriff nicht gleich, dass es von ihrem Vater stammte. Graf Ortenburg hatte ihm die Lanze in den Harnisch gerammt. Die Lanze barst, ihr Vater kippte zur Seite, wurde noch von den Gurten im Sattel gehalten. Die Schiedsrichter winkten ab, die Menge jubelte. Knappen rannten herbei, fingen das Pferd ein. Anna erstarrte. Sie sah, wie ihr Vater herunter gehoben wurde, seine Rüstung troff vor Blut.
    Der kleine Ortenburgjunge rannte auf den Platz und schrie unentwegt: »Hurra, wir haben gesiegt, wir haben gesiegt!«

7. Das Bildnis
    Als Kellenbenz den Marktplatz erreichte, entstand der nächste Tumult. Ein Brauereipferd stieg wegen einer Schlange aus einem Gauklerkorb hoch. Kellenbenz beruhigte das Tier und bekam vom Kutscher einen Humpen Bier spendiert. Er kaufte sich ein Brot dazu und hockte sich auf die Stufen der kleinen St.-Peters-Kirche zwischen Perlachturm und Fischbrunnen. Während er sein Mahl verschlang, sah er einem hageren Mann zu, der auf einem wackligen Gestell Pergamente, Wachstafeln und Tinten ausbreitete. Obwohl der Schreiber mehrere Kleiderschichten trug, zitterte an seiner Nase ein Rotztropfen. Ständig fegte er mit den weiten steifen Ärmeln seines Tapperts etwas hinunter. Kellenbenz hob eine Pergamentrolle auf und reichte sie ihm.
    Zum Dank nickte der Mann. »Kann ich Euch helfen?« Er wischte sich mit dem Handrücken den Rotztropfen ab und straffte sich. »Liebesbrief, Ratsgesuch, Aufgebot, Beichtgeheimnis?« Kellenbenz blickte ihn gemächlich kauend weiter an. »Treueschwüre, Wäschelisten, Gesin… h… h…«, er nieste, wischte sich die Rotze erneut an den Tappert. »Gesindeordnung?«
    Kellenbenz winkte ab, öffnete den Mund und deutete auf seinen Zungenstummel.
    Der Mann zog die Augenbrauen hoch. »Willst du dich nachträglich beim Stadtrat beschweren? Das Urteil ist doch bereits vollstreckt worden.« Er setzte sich hinter sein Tischgestell auf eine Kiste, war so auf gleicher Augenhöhe mit Kellenbenz auf den Stufen. Kellenbenz schüttelte den Kopf.
    »Armer Teufel … Also gut«, seufzte der Schreiber. »Es ist noch keine andere Kundschaft da. Ich frage dich und du nickst oder schüttelst den Kopf, damit ich herausfinden kann, was du willst.«
    Trotz der Anteilnahme zeigte das Duzen, dass er Kellenbenz nun als Geächteten sah. »Also erst mal: Hast du Geld?«, fragte der Schreiber.
    Kellenbenz nickte und zeigte den Beutel des Patriziers, den er an seinen Gürtel gebunden hatte.
    »Schön, das ist ein Anfang. Soll ich einen Brief an jemanden verfassen?«
    Kellenbenz schüttelte den Kopf. Er stellte den Humpen ab, kauerte sich auf der untersten Stufe zusammen, sprang plötzlich auf, dass dem Schreiber die Pergamente davonflogen. Dann rannte er um das Tischgestell, rieb sich die Augen und heulte laut dazu. Schließlich deutete Kellenbenz Biankas Größe mit der Handkante an. Er fuchtelte mit spitzen Fingern, stieß dabei den Schreiber auf sein Pult, bis der begriff, dass er nicht schreiben, sondern zeichnen sollte. Das Bildnis eines Kindes. Mit dem Griffel begann er in eine Wachstafel zu ritzen, glättete das Wachs wieder, wenn ihn Kellenbenz mit dem Ellbogen stieß und den Kopf schüttelte, strichelte erneut.
    Der Perlachplatz hatte sich mit den ersten Dultbesuchern gefüllt. Etliche versammelten sich auch um den Fischbrunnen, betrachteten das Pantomimenspiel des einen und die wortreichen Auslegungen des anderen mit großem Vergnügen. Endlich nickte Kellenbenz zufrieden, drehte die Tafel gegen die Morgensonne. Mit zusammengekniffenen Augen und einiger Vorstellungskraft erkannte er darauf ein rundes Kindergesicht. Durch die vielen Versuche, das Schaben, Abkratzen und Glätten im rötlichen Wachs schien das Bildnis sogar Tupfen auf der Haut zu haben.
    Aus seinem Beutel gab Kellenbenz dem Schreiber ein Silberstück und begann mit dem Bildnis den Leuten vor dem Gesicht herumzuwedeln. Die glotzten ihn an, als wäre der Possenreißer von der Bühne gestiegen und wollte nun selbst einen Schwank hören. Von Stand zu Stand drängte er sich weiter durch, zeigte jedem die Wachstafel. Keiner konnte ihm weiterhelfen. Die Bürger klatschten und tratschen über die Fugger und Welser, aber redeten nie von einem verirrten Kind. Wahrscheinlich gehörte sein

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