Im Labyrinth der Fugge
Sie lachten und schwatzten, konnten vermutlich den Beginn der Dult nicht mehr erwarten. Gierig nach Ablenkung, wollten sie das eine oder andere schon vorab ausfindig machen.
Voller Vorfreude, sein neues Meisterwerk abzuliefern, hatte Kellenbenz nicht bedacht, dass sich bereits am Vorabend die Händler aus aller Welt auf dem Perlachplatz einfanden, um ihre Marktstände vorzubereiten. Eine Stunde vor dem verabredeten Zeitpunkt hatte er sein Werk sorgfältig eingerollt und in einen großen Sack gesteckt. Der prächtige Kopf war sperrig, er presste ihn hinein, verschnürte alles. Mit dem Kind an der Hand, den Sack über der Schulter, würde er nur langsam vorwärts kommen, das hatte er berechnet. Während er einen Schritt machte, trippelte die Kleine drei. Bianka war es gewöhnt, viel zu gehen. Er musste nur darauf achten, dass die Fünfjährige nicht in einen der Bachläufe fiel, die Augsburg durchflossen. Ab und zu hievte er sie aus einem Abfallhaufen, schlug ihr Händchen von einem Wasserrad weg oder hob sie, unter den Arm geklemmt, über einen morschen Steg. Der Sackinhalt stach ihn bei jedem Schritt in den Rücken. Sie mussten am Tanzhaus vorbei, über den Rathausplatz, bis zum Perlachturm. Dann durchs Barfüßertor zum Jakoberviertel hinaus.
Bald war er am Schulterblatt wundgescheuert. Doch wenn er Halt machte und die Last auf die andere Schulter wechselte, würde er das Kind im Gewühl verlieren. Die Hausierer, Kleinhändler und Schausteller am Markt kümmerten sich nicht um das, was niedriger als ihre Verkaufstresen war. Kellenbenz und seine Tochter bogen um den Turm, wollten den Perlachberg hinunter stapfen, am Metzgerhaus mit ihrem Fleischerbetrieb und den Huckerläden vorbei. Schweine quietschten um ihr Leben, Kistler riefen ihren Gehilfen Befehle zu. Die Glocke in dem hohen Turm übertönte alles. Sie läutete, wie jeden Tag, zur vollen Stunde. Doch erst morgen, am Michaelitag, würde das Bogenfenster im hohen Perlachturm wie von selbst aufgehen und das Turamichele gegen das Böse kämpfen. Kellenbenz sah hinauf und wunderte sich, dass schon heute das Fenster offen stand. Der Arm der hölzernen Erzengelsfigur ruckte zum schwarzbemalten Wesen zu seinen Füßen, in der hohlen Hand fehlte aber noch die Lanze. Anscheinend wurde die Mechanik erprobt. Bianka wollte es auch sehen. Sie sprang an Kellenbenz hoch. Er beugte sich zu ihr vor und da geschah es. Der Sack riss mitten durch. Kellenbenz fing das Fell auf, der Kopf aber, mit den langen spitzen Hörnern, klapperte beim fünften Glockenschlag aufs Pflaster, rollte noch ein Stück weiter den Berg hinunter, bis die Hörner beim sechsten Glockenschlag zwischen den Steinen einrasteten. Alle Umstehenden kreischten und stoben auseinander.
»Höllenbrut, Satansglut, der Antichrist!«, schrien sie. Ein Tumult entstand, die Leute schubsten, trampelten sich nieder. Einem Händler kullerten fremdländische Früchte von der Schippe. Hastig wickelte Kellenbenz den Kopf in das schwarze Fell, schob sich das Gehörn unter die Achseln, bedeckte alles, so gut es ging, mit den weiten Ärmeln seiner Tunika. Er wollte zwischen den Karren weitereilen, doch Bianka war verschwunden. Er sah sich um. Ach, hätte er sie doch bei der kranken Nachbarin gelassen. Die Gumpelzhaimerin hustete und man wusste nie, wie sich der Schwarze Tod zeigte. Er wollte nicht, dass Bianka sich ansteckte. Nicht auch noch sie.
Bianka, den Namen hatte seine Frau ausgesucht, bevor sie starb, ein Jahr nachdem sie ihre beiden Söhne verloren hatten. Er wollte die Kleine rufen. Er brüllte wortlos, mit weit aufgerissenem Mund. In dem Gekreische der Wegeilenden gingen seine Laute unter. Zwischen wehenden Frauenkleidern und pelzigen Schauben entdeckte er sie endlich. Sie hockte vor einem Huckergeschäft auf dem Pflaster und kaute an etwas Rotem. Er bückte sich, sah, dass das, was er für einen Apfel gehalten hatte, durch und durch rot war, die dicke Haut und das weiche Innere mit kleinen gelben Kernen. Schnell bedeutete er ihr, auf seine Schultern zu klettern. Sie lachte, ließ das Rote fallen, stieg über seinen Kopf, schmierte Fruchtfleisch in seine lichten Haare und klammerte sich fest.
Nachdem er sich den wunden Rücken lange genug an der Hauswand gekühlt und wieder zu Atem gekommen war, stapften sie weiter. Sie überquerten den Mittleren Graben, vorbei an der Anlegestelle der Stadtfischer, über die Barfüßerbrücke. Bianka jauchzte und hopste auf seinen Schultern. Mit ihren Patschhändchen streifte
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