Im Labyrinth der Fugge
von allen vier Schwestern ihrer Mutter am ähnlichsten.
Die Gräfin packte sie mit beiden Händen, sodass Anna sich nicht mehr entziehen konnte. »Du weißt, wie wichtig das Turnier für deinen Vater ist?« Sie drehte ihr die Schnecken straffer. Anna biss die Zähne zusammen. Jedes Turnier war ihrem Vater am wichtigsten, seine Schaukämpfe und seine alchimistischen Versuche, daneben gab es nicht mehr viel. Immerhin sammelte er auch Bücher und erlaubte ihr, in seiner Bibliothek zu lesen. So erfuhr sie wenigstens, was andere in der Welt erlebt hatten.
Ihre Mutter achtete nicht auf Albert, der immer noch in Annas Schoß kauerte. Sie hob das Perlenhäubchen vom Frisiertisch, steckte es auf Annas Haar fest, störte sich nicht daran, dass ihre Tochter zuckte, als sie ihr in die Kopfhaut stach.
»Nur an Michaeli kommt es aus dem Turm, Mutter«, versuchte es Anna wieder.
»Michaeli, Michaeli, diese Katholiken mit ihren Heiligentagen.« Sie drehte Annas Kopf wie den einer Puppe. »Die Jüngste der Medici trägt ein Perlenkrönchen, hast du das auf dem Münzmedaillon gesehen?«
Anna seufzte. »Das Turamichele im Perlachturm, Mutter, bitte, wir brauchen nur kurz anzuhalten …«
»… und die Beutelschneider verschleppen dann einen von euch«, ergänzte Ursula. »Du bist nicht irgendeine Bauerndirne, die auf dem Markt einem Possenreißer zujubeln kann. Schluss jetzt, ein für alle Mal.« Sie gab Albert einen Klaps auf den Hintern. »Und du, was treibst du dich schon wieder in der Mädchenkammer herum?«
Anna spürte, wie Albert sein Weinen unterdrückte. »Vater ist doch froh, wenn wir nicht alle gleichzeitig vor seinem Auftritt erscheinen, das regt ihn nur unnötig auf.« Anna hatte ihre Trumpfkarte gezogen. Sie wusste, dass sie Georg Fugger besser kannte als ihre Mutter. Obwohl Ursula Fugger-Lichtenstein ihm bereits zwölfmal ein Kind geboren hatte und elf davon lebten. »Ihr, Mutter, könntet zum Fronhof vorausfahren, wir lassen uns mit der Kutsche bis vor den Turm bringen und kommen mit den Kleinen wohlbehalten nach.«
Der Gedanke, einige Augenblicke ohne die ganze Kinderschar zu sein, schien ihre Mutter umzustimmen.
»Also gut, du weißt, zu welcher Tribüne ihr kommen sollt? Und achte auf die Säume, wenn ihr durch die Schlacke watet, damit ihr nicht vor Turnierbeginn schon mit Schlamm bespritzt seid.« Die Gräfin rauschte hinaus, hielt die Schleppe ihres vogelbeerroten Kleides hoch, als wäre der Unrat von draußen in die teppichbelegte Mädchenkammer gestiegen.
3. Die Katze
Die Abendglut verblasste bereits und tauchte den Pestberg, in dem Hunderte Augsburger begraben waren, in Schatten. Kellenbenz breitete sein Werk auf einem Baumstamm aus. Wie das abgezogene Fell des Leibhaftigen lag Wasti da. Die Auftraggeber traten näher.
»Wie viele Kinder hast du, Kürschner?«, fragte der Geistliche. In der Dämmerung verschmolz sein Antlitz unter der Hutkrempe zu einem rabengleichen Umriss, in dem Kellenbenz keine Regung mehr entdecken konnte. Warum fragte der Pater nach seiner Familie? Ahnte er, dass Kellenbenz alles mit angehört hatte? Er zeigte eine Zwei mit den Fingern und stieß mit dem Fuß mehrmals auf den lockeren Boden des Pestberges.
Der Pater verstand. »So, so, der Schwarze Tod hat dir zwei Kinder genommen? Gott sei ihrer Seele gnädig.« Er zog mit der Handkante ein Kreuz über die Erde.
Kellenbenz wollte seinen Lohn und dann schnell zurück. Aber er musste warten, bis die Herren gegangen waren, damit sie Bianka nicht entdeckten.
»Wo ist die Kleine, die im Hof deiner Werkstatt gespielt hat?«, fragte der Pater. Kellenbenz hielt die Luft an. Woher wusste er von Bianka? Ein Diener des Patriziers hatte ihm doch den Auftrag erteilt. Etwas miaute zwischen den Büschen. Kellenbenz riss den Mund auf, stammelte irgendwelche Laute hervor und fuchtelte mit den Armen.
»Den versteht ja kein Mensch, schweig Er«, fuhr ihn der Graf an. »Aber gute Arbeit ist das, zum Fürchten, wirklich. Wollen wir hoffen, dass es seinen Zweck erfüllt.« Er strich über Wastis weiches Fell und warf Kellenbenz einen kleinen Lederbeutel mit Münzen zu.
Kellenbenz verbeugte sich, wollte schon gehen, zwischen den dunklen Büschen Bianka aufklauben und schnell verschwinden.
Wieder miaute es. In der Hand des Geistlichen blitzte etwas auf. Kellenbenz erstarrte.
Aus dem Kuttenärmel hatte der Pater einen Dolch gezogen und schlich zu den Hagebutten.
Der Patrizier lachte auf. »Lasst doch die Katze, Pater. Schade um den schönen
Weitere Kostenlose Bücher