Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Labyrinth der Fugge

Im Labyrinth der Fugge

Titel: Im Labyrinth der Fugge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Abe
Vom Netzwerk:
sie die Ohren der Pferde, die sich vor die Fuhrwerke gespannt durchs Barfüßertor schoben. Seit das Jakoberviertel zu Augsburg gehörte und das Barfüßertor nicht mehr bewacht wurde, bewohnte ein Stadtpfeifer anstelle des Schließers die Kammer über dem Tor. Kellenbenz waren seine Pfeiftöne bis ins Mark gedrungen, während er hier im Gefängnis an der Stadtmauer auf seine Verurteilung gewartet hatte.
     
    Das Abendrot glühte bereits über der Fuggerei, als sie an den gedrungenen Häusern vorbeigingen. Seit knapp vierzig Jahren bestand diese Siedlung von Jakob Fugger, dem Reichen, die er für Arme und unbescholtene Augsburger Tagelöhner geschaffen hatte. Auch Handwerker durften hier ihren Lebensabend verbringen. Der Mietzins betrug einen Monatslohn im Jahr und tägliche Gebete für die Fuggerfamilie. Doch sollte Kellenbenz gebrechlich werden und verarmen, würde er, gezeichnet wie er war, hier kein Häuschen mit Garten bekommen. Er setzte Bianka ab und führte sie an der geschlossenen Mauer der Fuggerei entlang, am Blatternhaus vorbei, dann den Pesthügel hinauf.
    Dort oben hatte er sich manchmal nach Feierabend auf einen Stein gesetzt und seinen toten Söhnen vorgesungen. Weder das Umhängen von Krötenaugen noch der beißende Bocksgeruch, zusammen mit den ätzenden Säuren, die die Ausübung seiner Zunft verlangten, verhinderten, dass auch seine Tür mit einem roten Kreuz für die Pest gekennzeichnet worden war. Erst hielten seine Frau und er die Beulen an den Beinen der Buben für Flohstiche. Dann stieg das Fieber, die Haut färbte sich schwarz, die Beulen schwollen an und bedeckten die beiden Kinderleiber wie Lebewesen. Der Totengräber klopfte eines Morgens mit seinem langen Stock an der Haustür und sie mussten die beiden Kleinen zum Fenster hinauswerfen. Von da an haderte Kellenbenz laut mit Gott, fluchte bei jedem Handgriff, wollte so den Schmerz betäuben. Als seine Frau mit Bianka schwanger war, holte ihn das Malefizgericht ab. Am Tag seiner Verurteilung versuchte er den Henker mit einem selbstgefertigten Kragen aus Eichhörnchenpelz zu bestechen.
    Hinterher sagten viele, er sei noch gut weggekommen, hätte bei der Bestrafung Arme, Beine und Geschlecht behalten dürfen und sogar das Fegefeuer aufgeschoben. Er erreichte, dass ihm nicht die ganze, sondern nur ein Stück der Zunge abgeschnitten wurde. Die Wunde war kaum verheilt, da starb seine Frau im Kindbett.
    Schweigend schlürfte Kellenbenz von da an, mit der neugeborenen Bianka zusammen, seinen Milchbrei. Anfangs dachte er, das Kind hätte etwas von seiner stinkenden Kürschner-Lauge abbekommen, weil es am ganzen Leib gesprenkelt war. Aber die Tupfen ließen sich nicht abwaschen und wuchsen nicht zu Beulen. Biankas Haut wurde vom vielen Rubbeln nur rosiger und leuchtete, wie ihr Haar, flammendrot. Er versorgte das Kind allein. Anstatt einer Amme, hielt er eine Ziege, deren Milch er Bianka einflößte. Auf den Rücken gebunden, schleppte er die Kleine, bevor sie laufen konnte und darüber hinaus, überall mit hin. Viele tuschelten über ihn, warum spielte seine Tochter nicht mit den anderen Kindern in der Gasse und warum suchte sich Kellenbenz keine Frau, die das Mädchen aufzog? Doch sie wussten, dass er ihnen keine Auskunft geben konnte oder wollte. Noch machte er sich keine Gedanken, dass Bianka vielleicht nie sprechen lernen würde. Sie ahmte die Laute von Katzen, Hunden und Ziegen, auch Vögeln, täuschend echt nach. Sie konnte seine Lalltöne deuten, verstand ihn, auch ohne Worte. Die Kleine zischelte, meckerte, zwitscherte und Kellenbenz erriet das Tier, das sie imitierte. Besonders gefiel ihr ein Äffchen, das Spielleute in einen breiten plissierten Kragen gezwungen hatten und auf dem Perlach vorzeigten. Zum vierten Geburtstag schnitzte er ihr deshalb aus dem Zahn eines Keilers ein winziges Äffchen und hängte es ihr an einem Lederband um den Hals. Sogleich ahmte sie die Laute des Äffchens nach und Kellenbenz hopste dazu auf allen vieren herum, bis sie beide lachten, er tief aus der Kehle, Bianka kichernd und glucksend. Irgendwann würde sein kleiner Streuselkuchen auch sprechen lernen wie ein Mensch.
     
    Als ihm der Diener des Patriziers den Auftrag überbrachte, freute er sich über die Abwechslung und den reichlichen Lohn. Er vernachlässigte seine Arbeiten für die Michaelihändler und suchte in den Dörfern vor Augsburg nach einem geeigneten Tier. Er fragte bei Bauern, Tagelöhnern, Soldaten, prüfte umherlaufendes Vieh. Kein Bock

Weitere Kostenlose Bücher