Im Labyrinth der Fugge
Schritt zurück. »Ihr seid doch nicht infiziert?«
Der Patrizier spielte mit einer der Goldketten und überging die Frage. »Es ist das Beste, wenn Ihr mich da ganz raushaltet. Erledigt es ohne großes Aufsehen. Was ist mit dem Kürschner. Wird er schweigen?«
Diesmal lachte der Geistliche. »Deshalb habe ich ihn ausgesucht. Wo steckt er eigentlich?«
Kellenbenz hätte den verbliebenen Zungenstumpf geopfert, um noch einmal fluchen zu können. Er drückte Bianka zwischen die Wurzeln in eine Mulde, strich über ihren Rotschopf und legte ihr den Finger auf den Mund. Sie wusste, was das bedeutete.
Dann trat er durch die Büsche zu den beiden Männern und übergab den Kindsmördern sein Werk.
2. Die Schnecken
»Ich will, ich will, ich will aber!«, hörte Anna in ihrer Erinnerung auch noch viele Jahre später ihren jüngsten Bruder durch die angelehnte Tür rufen. Wenn sie Barbara nun davon erzählte, war es, als seien die Jahre ihres Lebens im Stapel ihrer Zeichenpapiere zusammengepresst und die Zeit nie vergangen. Am Michaelitag, 1560, hatte alles begonnen. Erst später erfuhr sie, dass bereits am Abend zuvor das Komplott gegen ihre Familie geschmiedet worden war. Am Morgen noch, sie war dreizehneinhalb, flocht sie sich zwei Zöpfe, drehte sie zu Schnecken über den Ohren und steckte sie fest. Damals hatte sie noch hüftlange Haare besessen. Sie war froh, dass die Zofen so eingespannt waren und sie in Ruhe ließen. Sie genoss die Stille, während vor der Tür das ganze Haus in Aufruhr war. Albert kam heulend in die Kammer gerannt und warf sich in ihre Arme. Der Vierjährige trug schon das blaugrüne Wams mit den vielfach gepufften und geschlitzten Ärmeln und stolperte in den hohen Lederstiefeln mehr herein, als dass er lief. Er sah wie die Miniaturausgabe ihres Vaters Georg aus. Anna unterdrückte ein Schmunzeln, schloss ihren Bruder in die Arme.
»Was ist, Albert?«, fragte sie, nahm ihm das schwarze Barett mit der riesigen Straußenfeder ab und streichelte ihm über die dunkelbraunen Locken. Es dauerte eine Weile, bis er sich beruhigte.
»Turamichele sehen«, schluchzte er.
»Wenn wir uns beeilen, können wir es noch anschauen. Es war doch ausgemacht.«
Albert hörte zu heulen auf, schmierte sich Rotz ans Samtwams und blickte zu Anna auf. »Mutter hat’s nicht erlaubt«, schniefte er, seine Schultern bebten wieder, schnell verbarg er sich in Annas Kleid.
»Ich werde Mutter fragen …«, tröstete sie ihn.
»Was willst du mich fragen?« Die Gräfin war über die Schwelle getreten, schritt in der Kammer umher, faltete den herabhängenden Baldachin von Annas Himmelbett in gleichmäßige Abstände. »Hast du Mechthild angekleidet?« Mit dem Zeigefinger prüfte sie die Staubschicht auf der Truhe. »Du weißt, wie nachlässig die Zofen sind, besonders was die Zusammenstellung der Farben betrifft.« Sie rückte das steinerne Tintenfass, die Federkiele und den Silberstift auf Annas Schreibpult gerade, steckte das Rinderhorn für die Tusche in die Vertiefung im Schreibpult und hob den Stapel Büttenpapier auf.
Anna hielt die Luft an. Wie gut, dass sie die bemalten Blätter in dem Stapel verborgen hatte und das oberste Blatt leer war. Gräfin Ursula musterte ihre drittälteste Tochter und ihren jüngsten Sohn vor dem Frisiertisch, so als würde sie die Kinder gerade erst bemerken. Albert drückte sich an Anna.
»Mechthild trägt das violette Mäntelchen und ist bei Sidonia oben, sie wollte noch nach einer Kette …«
»Dann beeil dich, wir sind ohnehin zu spät«, unterbrach sie die Gräfin und legte den Papierstapel ab.
Anna konnte durchatmen. »Wir halten doch noch am Perlach?«, fragte sie.
»Nichts da, ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht und da soll ich mich auch noch unter das Volk mischen?«
»Wenn es Euch recht ist, Mutter, könnten Sidonia, Virginia und ich auf die Kleinen aufpassen. Sie reden das ganze Jahr schon davon, sogar Philipp und Octavian.«
»Ich glaube nicht, dass ein Puppenspiel deine Brüder noch fesselt, wo sie bald die halbe Welt bereisen werden.«
Die Glücklichen, dachte Anna. Mutter wusste genau, wie sie in ihren Wunden herumstochern konnte. Ihre Brüder durften fremde Länder bereisen, Kunstschätze besichtigen und vor allem: lernen. Kavalierstour nannte sich das. Ursula war hinter sie getreten und zupfte an Annas Haaren. Die ausladenden Ärmel ihrer Mutter peitschten ihr ins Gesicht als sie auswich. Mutter und Tochter beäugten sich im Spiegel. Zu Annas Leidwesen sah sie
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