Im Labyrinth der Fugge
Das Weitere kennst du.«
Sie schwiegen beide.
»Ist sie eine Hexe, Anna?«, fragte Sidonia nach einer Weile mit derselben Gier in den Augen, wie sie Anna bei ihrer Mutter bemerkt hatte.
Wut kochte in ihr auf. »Nein, das weißt du so gut wie ich«, fuhr sie ihre Schwester an. »Wo ist Schellebelle überhaupt?«
»Na, im Ratskeller, wo sonst.«
»Du meinst, sie ist eingekerkert und wird gefoltert?«
Sidonia zuckte mit den Schultern. »Sie müssen doch herausfinden, ob sie eine Hexe ist, hat Canisius zu Vater gesagt und deshalb bleibt sie vorerst eingesperrt. Mehr weiß ich auch nicht. Nur, dass Mutter um eine neue Küchenmagd schauen soll.«
»Aber Schellebelle ist unschuldig, sie hat sich nur gewehrt«, brüllte Anna. Sie warf die Schachtel mit den Verzierungen durch die Kammer. »Ihr wurde was angetan, ich … ich war dabei.« Sie bebte.
Sidonia hielt sich schützend die Arme vors Gesicht, als es Perlen regnete.
»Du meinst, du hast den Teufel gesehen?«
»Ja, und nein, es war kein Teufel, nur … nur ein Mann, ein Mönch, der Schellebelle, der ihr im Bett …«, schrie sie und rang nach Worten.
Sidonia strich Anna über den Rücken. Unter dieser sanften Berührung schmolz ihr Zorn, sie schluchzte. Sidonia umfasste sie, Annas Tränen tränkten den kostbaren Stoff von Sidonias Kleid.
»Begreifst du nun, warum ich so schnell wie möglich heiraten möchte?«, fragte Sidonia. »Ich will vergessen.«
»Wieso willst du vergessen? Du warst doch nicht dabei.« Anna sah auf.
»Seit dieser Beichtvater ständig hier ist, lachen wir kaum noch. Ich will einen Geliebten, der mich in ein neues Leben mitnimmt.«
»Was wird dann aus uns?«, fragte Anna. Nicht auch noch Sidonia!
»Ich lass euch nicht im Stich, dich nicht, Albert, Mechthild und Virginia auch nicht. Euch alle nicht, aber ich will keine Nonne werden.«
»Wer sagt, dass du eine werden sollst?«
»Meinst du, dieser Canisius ist aus Nächstenliebe hier? Andauernd schlägt er mir Exerzitien vor, das würde ihm so passen, ich mit ihm allein in einer Kammer. Wie der überhaupt riecht, ist dir das aufgefallen?«
Anna blinzelte durch die Tränen durch. »Er stinkt«, stellte sie fest. »Aber nicht nur aus dem Mund wie Severin, sondern insgesamt, genau wie Oheim Ulrich.«
»Ulrich stinkt nicht, jedenfalls habe ich nichts gerochen auf dem Geschlechtertanz. Vielleicht übertüncht er ja alles mit Rosenwasser. Aber Canisius schwört auf Eigenurin, hat Mutter mir erzählt.«
Anna schauderte und lachte die Tränen fort.
»Bevor ich ins Kloster soll, heirate ich den nächstbesten, das verspreche ich dir, und wenn’s der Kutscher ist«, sagte Sidonia.
»Der Kutscher ist mindestens vierzig und hat eine Menge Kinder und Kindeskinder«, sagte Anna. Wie konnte ihre Mutter die schöne Sidonia ins Kloster stecken wollen? »Das mit dem Kloster glaube ich einfach nicht.«
Sidonia wischte Anna mit dem sowieso schon verdorbenen Brokatrock die Nase.
»Ich hab zwar gehört, wie sie über Teufelsaustreibungen gesprochen haben, aber deshalb wird Mutter doch nicht katholisch.«
»Jedenfalls hat sie den Zofen all ihre bunten Kleider gegeben. Sie trägt auch keinen Schmuck mehr, ist dir das nicht aufgefallen? Und der Pater hat ihr ein Stundenbuch geschenkt.«
»Und die Gebetskette.«
»Ein katholischer Rosenkranz ist das, sie leiert das Ave Maria herunter und schiebt bei jeder Strophe die Perlen durch die Hand.« Sidonia hob eines der in der Kammer verstreuten Schmuckstücke auf. »Diese Perlen da, waren bereits mein ganz geheimer Schatz. Hilf mir, sie wieder aufzusammeln, bevor sie auch zu einem Rosenkranz gefädelt werden.«
»Eins, zwei, drei …« Anna lehnte sich an einen Apfelbaum. Mechthild und Albert rannten weg und versteckten sich im Gartenlabyrinth. Seit sie mit Sidonia gesprochen hatte, ging es ihr besser. Sie mied zwar immer noch das Büttenpapier, doch konnte sie wieder mit ihren kleinen Geschwistern spielen. Beim Einzählen musste sie an Heinrich denken, für den jede Zahl eine Verlängerung seiner Qual im Wasser gewesen war. Wie es ihm wohl ging? »… elf, zwölf, dreizehn …« An jenem Abend waren sie auseinandergerissen worden. Gräfin Ortenburg hatte Anna nicht wiedererkannt. Womöglich glaubte sie, Anna hätte Heinrich ins Wasser geschubst. Aber sollte sie den Ortenburgs sagen, ihre Brüder seien es gewesen? So hatte sie nur gefragt, wie ihr Sohn heiße und dass sie hoffe, er erhole sich recht bald.
»… achtzehn, neunzehn, zwanzig, ich
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