Im Labyrinth der Fugge
komme!« Sie sah über die kniehohen Buchshecken und entdeckte die beiden Kleinen nach kurzer Suche.
»Donner noch mal!« Albert stampfte enttäuscht auf.
Anna war erstaunt, wie er fluchen konnte.
»Los, nun müssen wir dich suchen, Anna«, bettelte er. Aber Anna konnte sich nicht mehr verstecken. Nie mehr wollte sie in einem engen Raum eingesperrt sein, schon bei dem Gedanken daran, brach ihr der Schweiß aus. Auch ließ sie die ganze Nacht heimlich die Tranlampe brennen, pustete sie erst aus, wenn die Zofe zum Nachschauen kam. Von Kindheit an hatte ihr die Mutter in schauerlichen Einzelheiten erzählt, wie es auf der Burg in Trient gebrannt hatte, deshalb duldete sie die ständigen Feuer nicht. Wenn kein Licht brannte, wachte Anna schreiend und schwitzend auf, träumte von halbtoten Menschen, denen Messer im Rücken steckten und die sie um Hilfe anflehten. Es gab auch am Tag überall was, was sie auf die Teufelsnacht stieß, so sehr sie auch versuchte, sie zu verdrängen. »Lasst uns Mühle spielen.« Ein Mühlrad hatte Heinrich fast zermalmt.
»Ich zeige dir, wie man flechtet«, schlug Anna vor.
»Mädchenkram«, murrte Albert.
»Du kannst Halfter für deine Pferdchen flechten.«
Er ließ sich überreden und es machte ihm sogar so viel Spaß, dass er es Julius, Anton und Raymund zeigte.
»Die Schnüre sind viel haltbarer, wenn man sie flechtet.« Es entstand ein Wettstreit unter den Geschwistern, wer die meisten Bänder zu einem verflocht. Bald hatten die kleinen Blechritter von Alberts Spielzeugfiguren geflochtene Schwertgürtel.
»Hast du das Turnier schon nachgestellt? Wollen wir den Kampf von Vater und Graf Ortenburg nachspielen?«, schlug Anna vor. Sie fädelten Johannisbeeren auf, legten die Kette einem Ritter auf den Harnisch. Klein-Fugger, Johannisbeer geschmückt, schlug dem anderen Miniaturreiter den Helm vom Kopf und im Gegenzug durfte der mit der Lanze auf Klein-Fugger einstechen, bis die Johannisbeeren platzten und roter Saft den Ritter überströmte.
24. Die Krüppelfrau
Sooft er konnte, entwischte Philipp dem Faktor, gab dem Musikus eine Extramünze und schwänzte auch den Lautenunterricht. Mit seinen schrundigen Fingern hätte er sowieso nicht zwischen die Saiten greifen können. Octavian erzählte er, dass er für Vater einen Sonderauftrag erledigen musste, von dem nicht mal Rummel etwas wissen durfte und Philipp genoss es, dass er damit Octavians Neugier, aber auch seine Eifersucht schürte.
Den Besitzer des ›Ca’ dei desideri‹ bekam Philipp auch in den folgenden Tagen nicht zu Gesicht. Vermutlich war er einer dieser wohlhabenden Venezianer, die mehrere Häuser besaßen, aber kaum eines bewohnten. ›Aqua alta‹ hatte den Boden erst überschwemmt und dann die Pflanzen mit der zurückbleibenden Salzschicht verbrannt, als das Hochwasser wieder gesunken war. Als Erstes bat Philipp Giuseppe um Behältnisse. Sie schleppten Bottiche, leere Fässer und Tiegel herbei und stellten sie überall auf, um Regenwasser aufzufangen. Philipp kämpfte sich mit einer rostigen Gartenschere und einem stumpfen Beil durchs Gestrüpp. Manchmal fühlte er sich beobachtet, spürte Blicke im Rücken. Einmal glaubte er, hinter dem hohen Fenster mit den halbgeöffneten Vorhängen ein Gesicht zu entdecken, wie das eines Kindes. Als er einen Strauch weiter wieder hinsah, war das Gesicht verschwunden. Am Torbogen zum Garten bemerkte er einen Mann, aber als er hinging, urinierte der in den Kanal und ging weiter, ohne Philipp zu beachten.
Mit schmerzenden, zerkratzten Gliedern entwarf er abends auf Dutzenden Blättern seine Vorstellung eines vollkommenen Gartens, wobei ihn Octavians Lautenübungen wach hielten. Stundenlang zupfte sein Bruder dasselbe Lied, bis es seiner Meinung nach sauber klang. Philipp wollte den beengten Raum zwischen den hohen Mauern durch seine Gartenkunst vergrößern, Winkel schaffen, in denen man Zeit und Ort vergessen konnte. Im Einklang aus Düften, Farben und Schönheit. Dabei störte es ihn nicht, dass er der Knecht eines geheimen Herrn war. Für ihn war es ein Spiel, das nur er gewinnen konnte. Selbst wenn Vater ihn zurückrief, sobald sie die doppelte Buchführung beherrschten. Dann war es eben ein Wettlauf mit der Zeit. Ihn reizte es sogar, einen unsichtbaren Gönner zu beschenken, und wer weiß, vielleicht würde die Kunde des Wundergartens über die Alpen dringen bis nach Augsburg und sein Vater würde anreisen, um ihn zu bestaunen. Nach Mittag eilte Philipp in das deutsche
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